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Die Logik des Verruecktseins

Titel: Die Logik des Verruecktseins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Preiter
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nimmt die Welt um uns herum eben nicht in aller Schärfe und in aller Genauigkeit wahr, vielmehr erhält es Teilinformationen, die rasend schnell zusammengestöpselt und zu einem Bild integriert werden, und dabei kann es eben, wie bei der optischen Täuschung erkennbar, zu voreiligen Fehlschlüssen kommen. Ohne Fähigkeit zur Projektion wäre unser Gehirn aber viel zu langsam im Weltverständnis, sodass die Unschärfe oder die diskreten Fehlinterpretationen über das Da-draußen in Kauf genommen werden können, wenn dafür auf der anderen Seite ultraschnell ein Überblick gelingt.

Im Liebeswahn: Gefährdungen für Frauen
    Wir projizieren jedoch nicht nur Abstraktes in die Welt, Raumverhältnisse etwa, wir projizieren auch anderes, eben auch die evolutionär gewachsenen Partnerpräferenzen. Selbst die im Laufe der Evolution im Gehirn integrierte Partneridee kann projiziert werden, anschließend dirigierend, überwertig die Oberhand gewinnen und das Weltverständnis »verrücken«. Zum Beweis folgen zwei Krankengeschichten.
Fallbeispiel: Erwählt vom Oberarzt
    Eine 50-jährige, verwitwete Mutter von zwei erwachsenen Kindern kommt auf Drängen derselben erstmalig in die stationäre Behandlung. Vor einem Jahr hatte sie einen cerebralen Schlaganfall erlitten,
der zu einer bleibenden, milden Kraftminderung einer Körperhälfte und einer leichten Sprachstörung geführt hatte. Psychiatrisch auffällig wurde die Patientin dadurch, dass sie fortgesetzt zunächst schwärmerisch, dann immer realitätsferner über den sie behandelnden neurologischen Oberarzt des Akutkrankenhauses gesprochen hatte. Schließlich berichtete sie ihren Kindern, dass sie, aus dem Fenster blickend, Autos beobachtet hatte, die vor ihrer Wohnung parkten oder auf und ab fuhren. Dies seien, so ihre feste Überzeugung, durch den Oberarzt beauftragte Beobachter, die nach ihr sehen sollten, um den Oberarzt darüber zu informieren, wie es ihr gehe. Als sie in die Klinik aufgenommen wurde, war sie felsenfest überzeugt, dass dieser Kollege sie demnächst abholen und sie beide zusammen als Lebensgemeinschaft leben werden würden.
    Psychopathologisch bestand ein monothematischer Wahn im Sinne eines Liebeswahns mit einem bereits erarbeiteten Wahngebäude. Dies bedeutet, dass im Verlauf der Krankheitsgeschichte immer mehr eigentlich harmlose Ereignisse mit dem Wahnthema verflochten wurden. Bei den vor ihrer Haustür parkenden Autos handelte es sich um Wahnwahrnehmungen. Bei diesem psychopathologischen Phänomen werden ganz reale Wahrnehmungen, das parkende Auto, uminterpretiert und in das Wahngebäude eingearbeitet. Das parkende Auto steht nicht zufällig da, es ist, so wird es mit unerschütterlicher Gewissheit erlebt, ein Zeichen für das Interesse des Oberarztes. Darüber hinaus fanden sich sogenannte mnestische Wahneinfälle: Die Patientin deutete erinnerte Situationen aus der Vergangenheit aus heutiger Perspektive um und sortierte sie ebenfalls in ihr Wahnthema. Bedeutungslose Äußerungen und Gesten des Oberarztes während ihres neurologisch stationären Aufenthaltes wurden jetzt im Nachhinein als verstecktes Beziehungsversprechen umgedeutet. Akustische Wahrnehmungsstörungen, wie z.B. Stimmenhören, existierten zu keinem Zeitpunkt.

Fallbeispiel: Im Bann von Prinz Charles
    Ein anderer Fall irritiert mich nachhaltig bis heute, obwohl er schon viele Jahre zurückliegt. Damals befand sich eine zu diesem Zeitpunkt 65-jährige Patientin zum wiederholten Male in der stationär psychiatrischen Behandlung. Seit Jahrzehnten bestand eine paranoid halluzinatorische Psychose aus dem sogenannten schizophrenen Formenkreis. Der Themenschwerpunkt des paranoiden Erlebens lag in einem genealogischen Wahnsystem, in dessen Rahmen sich die Patientin von adliger Abstammung wähnte, und einer liebeswahnhaften Beziehungssetzung. Als junge Frau war die Patientin ein Jahr als Aupair in England gewesen und hatte dabei Zutritt zu einem adligen Haus gehabt. Im Verlauf ihrer psychiatrischen Erkrankung, die erst einige Jahre später einsetzte, entwickelte sie die Vorstellung, selbst adliger Herkunft zu sein. Da unehelich gezeugt, aber von hoher adliger Abstammung, sei sie nach ihrer Geburt heimlich zur Adoption freigegeben und nach Deutschland gebracht worden. Ihre scheinbar leiblichen Eltern in Deutschland hätten ihr die Wahrheit immer vorenthalten. Zuzüglich bestand ein Liebeswahn zu Prinz Charles. Seit Jahrzehnten hörte sie seine Stimme, die auf Englisch in kommentierender und

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