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Die Logik des Verruecktseins

Titel: Die Logik des Verruecktseins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Preiter
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Flugzeugen oder von Klippen oder rasen auf einem Motorrad mit 250 km/h über die Autobahn. Sicherlich sind unter den Besagten auch
eine Reihe von sogenannten Kontraphobikern, die versuchen, ihre bestehende Überängstlichkeit kompensatorisch zu überwinden. Aber es gibt auch seelenruhige Gemüter, die von äußerlichen Gefahrenereignissen abgeschirmt bleiben, da ihr Empfindlichkeitsregler irgendwo zwischen 0 und 1 eingestellt ist. Im Krieg fallen sie entweder schnell oder werden hoch dekoriert. In Friedenszeiten landen sie aufgrund ihres waghalsigen Verhaltens in chirurgischen Notaufnahmen und eben nie in der Psychiatrie.
    Offensichtlich ist die Ängstlichkeit in Teilaspekten ihrer Entstehung und individuellen Ausformung, wie Statistiker sagen, normal verteilt. Ähnlich wie die Körpergröße variiert (es gibt eben kleine und große Menschen und die meisten liegen bezogen auf ihre Körpergröße irgendwo dazwischen), variiert auch die Ängstlichkeit bei uns Menschen. Doch auch die letztlich erreichte Körpergröße folgt nicht nur der genetischen Ausstattung und deren Vorgaben, sie wird vielmehr erheblich von lebensgeschichtlich bedingten Einflussfaktoren bestimmt, beispielsweise von der Ernährungslage. So verhält es sich auch mit dem aktuell erreichten Ausmaß der Ängstlichkeit.
Erhöhte »Lauerbereitschaft«
    Anders als das Merkmal »Körpergröße«, das mit dem Erwachsenenalter eine Endgröße erreicht, muss das Merkmal »Ängstlichkeit« allerdings lebenslänglich variationsbereit sein, weil sich die Umgebungsbedingungen laufend ändern können und mal mehr Ängstlichkeit, also bessere Frühwarnungsfähigkeit sinnvoll ist und zu einer anderen Zeit weniger Ängstlichkeit vonnöten ist. Vergleichbar vielleicht mit einem Nachtwächter, der ein einbruchgefährdetes Fabrikgelände bewacht: Er geht seinen vorgeschriebenen Sicherungsweg ab, prüft Eingänge, Fenster und Türen. Ständig ist er in Bereitschaft, tatsächlich auf Einbruchsspuren zu treffen, allerdings bleibt er bei seinem Rundgang relativ gelassen und in der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung realitätsnah. Erreicht nun unseren Nachtwächter ein telefonischer Anruf seiner Sicherungshauptzentrale, die ihn über
einen Polizeihinweis informiert, dass in der nächsten Zeit unter Umständen mit einem Einbruch zu rechnen sei, wie geht der Nachtwächter dann im nächtlichen Halbdunkel seine Runde? Wie vorher rechnet er mit dem Auffinden von Einbruchsspuren, jetzt changieren aber alle Wahrnehmungen in Richtung eines möglichen Einbruchshinweiszeichens: Das verschlossene Fenster zeigt bei der Kontrolle ein wenig Spiel, ob hier jemand eingestiegen ist? In der Fabrikhalle, die Tür dahinten, die sonst immer verschlossen ist, steht die nicht ein wenig offen? Das Geräusch, war das das Klirren einer Fensterscheibe? Überall werden Hinweise auf Einbruchsspuren »gesehen« und die Anwesenheit des Sorgeobjekt Einbrecher bis zur Anwesenheitsgewissheit vermutet. Das Gefühl sagt dem Nachtwächter, »sie sind schon da«, und beeinflusst durch seine Angst findet er für die Anwesenheit der Einbrecher Pseudohinweise oder schließlich sogar »Beweise« und löst den herbeirufenden Notalarm aus. Ein guter Nachtwächter erhöht seine Aufmerksamkeit, wenn ein Einbruchsversuch aus welchen Gründen auch immer wahrscheinlicher geworden ist. Er prüft penibler, zu dieser Genauigkeit angeleitet durch seine erhöhte Ängstlichkeit. Er erkennt Einbruchsspuren schneller, aber dafür steigt seine Fehlinterpretationsquote unweigerlich ebenfalls an.
    Geraten Menschen seelisch in eine Krise, stellen sich gleichzeitig die sorgebereiten Empfindlichkeitsregler auf die hypersensible Stufe 3. Da sie auf Gefahren lauern, erhöhen biologische Alarmanlagen parallel zur Reduktion des Binnenvolumens im Sinne der Gefahrenaufmerksamkeitskonzentration ihre »Lauerbereitschaft« gegenüber ihren potentiellen Sorgeobjekten, und »Einbrecher« werden vermutet, wo gar keine sind.

Körperliche Alarmierungen bei psychischer Destabilisierung
    Während einer ärztlich medizinisch orientierten Visite auf einer allgemeinpsychiatrischen Station, in der Menschen mit unterschiedlichsten psychiatrischen Krankheitsbildern behandelt werden, lässt
sich dieses Phänomen sehr gut beobachten. Beispielsweise sagt kein in der Folge eines Partnerschaftskonfliktes depressiv gewordener Mensch: »Gut, dass Sie zur Visite kommen, da können wir ja das Gespräch wieder aufnehmen und über meinen seelischen Schmerz sprechen, der

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