Die Londoner Drakulia Vampire 01 - Luzifers Wüstling
zwei Wochen nichts mehr von Chas gehört, und ich befolge lediglich seine Anweisungen, indem ich dem Earl schreibe. Das habe ich in meinem Brief auch klar so zum Ausdruck gebracht.“
Angelica bezweifelte das keineswegs. Nichts konnte ihre Schwester nämlich besser, als ihre Ansichten und Absichten klipp und klar zu formulieren.
Und obwohl sie wusste , dass er nicht tot war, musste Angelica ihre aufkeimende Sorge für den Bruder unterdrücken. Er reiste sehr oft zum Festland hinüber aus Gründen, die sich der Kenntnis seiner Schwestern entzogen. Aber er gab immer ein Lebenszeichen von sich, sei es per Brief oder auf anderem Wege. Wann immer es nötig wurde, übernahmen dann die Tante eines entfernten Cousins, Mrs. Fernfeather, und ihr Mann, die Rolle der Anstandsdame. Aber der letzte Brief von Chas enthielt einen ungewöhnlich knapp gehaltenen Befehl: Falls sie länger als zwei Wochen nichts von ihm hörten, sollten sie sich unverzüglich mit dem Earl von Corvindale in Verbindung setzen.
„Ich weiß überhaupt nicht, warum der Earl von Corvindale da mit hinzugezogen werden muss“, fuhr Maia fort. „Chas weiß, dass wir uns gut selbst um uns kümmern können. Tun wir das nicht sowieso schon? Mrs. Ferny lässt als Anstandsdame einiges zu wünschen übrig. Und von dem was ich gehört habe, ist Corvindale ein ... nun, er ist nicht besonders freundlich oder großzügig. Aber Chas vertraut ihm und hat immer nur gut über den Mann gesprochen.“ Sie war fertig mit Angelicas Haar und stand nun direkt neben ihr an ihrer Seite mit dem Rücken zur Wand und war offensichtlich dabei, den Ballsaal sowie die große Eingangshalle abzusuchen. „Meiner Erinnerung nach ist er sehr groß. Es sollte also ein Leichtes sein, ihn hier zu entdecken, wenn er hier ist. Aber ich sehe keine Spur von ihm.“
Die Röcke ihrer Kleider, gemacht aus der zartesten, feinsten Seide, schwangen anmutig um ihre Beine. Während ihre Mieder eng waren, zusammengebunden oder direkt unter der Brust zusammengefasst, fiel der Rest des Stoffes lose gen Boden – was ihnen recht viel Bewegungsfreiheit gab. Angelicas Kleid war von einem frühlingshaften Gelb, was ihren Zigeunerblutteint und ihre dunklen Augen zauberhaft unterstrich. Maias Schönheit hingegen glich eher einer klassischen, römischen Gottheit, und ihr Teint setzte sich aus helleren Tönen von Pfirsich und Gold zusammen, was wunderbar aussah, wenn sie wie heute Hellblau trug.
„Aber das heißt nicht, dass Corvindale deswegen seine Manieren vergessen darf“, sagte Maia. Sie zog sich den Handschuh wieder an, den sie kurz zuvor ausgezogen hatte, um Angelicas Haar zu richten und strich sich kurz über die Ohrringe aus Saphiren und Perlen, die sie trug, als ob sie sichergehen wollte, sie seien noch an Ort und Stelle.
„Falls du ihn doch entdeckst, kannst du ihm ja gehörig die Leviten lesen, Maia.“
Ihre Schwester runzelte die Stirn, und Entschlossenheit legte sich über ihr hübsches, herzförmiges Gesicht. „Genau das werde ich tun. Es geht hier um Leben und Tod. Und abgesehen davon, bin ich verlobt. Es ist ja nicht, als wäre ich eine blutjunge Debütantin in ihrer ersten Ballsaison auf der Suche nach einem Ehemann.“
Angelica öffnete den Mund, um ihr zu widersprechen, aber Maia fuhr fort, „Das werde ich. Aber ich werde dabei auch diskret und taktvoll sein. Und ich werde sicherlich – oh. Ist er das?“
Angelica blickte hinüber zum Eingang des Ballsaals, wo der Saal in die Eingangshalle überging und sah dort drei Gentlemen stehen. „Ich dachte Corvindale wäre dunkel? Sie sind nicht ...“
Ihre Stimme verstummte, als es ihr eiskalt ums Herz wurde. Sie hatte einen von ihnen wiedererkannt.
Der Mann aus ihrem Traum.
ZWEI
~ In welchem Miss Yarmouth und Viscount Dewhurst enttäuscht werden ~
„Corvindale ist nicht da“, sagte Voss und trat seinen Begleitern voran in den Ballsaal.
Am Übergang zwischen der großen Eingangshalle und dem Ballsaal befand sich eine kleine Treppe aus drei Stufen. Von der obersten Stufe herab hatte Voss die Gelegenheit gehabt, den Ballsaal nach Corvindale abzusuchen. Der Ballsaal selbst war ein Kaleidoskop, angefüllt mit wirbelnden Ballkleidern in allen Pastellschattierungen, die man sich nur vorstellen konnte. Ein Aroma-Gewirr von Lilie und Rosenduft, Lavendelpomade, Puder und dem Geruch körperlicher Aktivität. Ergänzt von den Klängen eines Streicherquintetts aus einer Ecke.
Weitere Kostenlose Bücher