Die Lucifer-Connection (German Edition)
dem Tranchieren angefangen habe, finde ich kein Ende. Gefällt mir zu gut.“
Günter war schlagartig nüchtern. „Ich erzähle dir alles, was ich weiß. Hilfe. Ich verblute.“ Er drückte ein verschwitztes Taschentuch gegen die Wunde.
„Mach voran.“
„Die Boys haben sie geholt. Machen Raubzüge durch die ganze Gegend und verschleppen Frauen und Kinder. Die holen sie sogar aus Bo und Freetown. Fahren los und gehen auf Raubzug. Hab’ keine Ahnung, warum. Wahrscheinlich halten sie sich die als Sexsklaven. Wie im Bürgerkrieg. Für die ist der nicht zu Ende.“
„Und niemand unternimmt was? Keine Behörde, UNO? Nicht mal die Kamajors?“
„Mann, du bist in Leone. Hast du das immer noch nicht begriffen? Hier gab es mal einen Priester, der deswegen Wirbel veranstaltet hat. Ist spurlos verschwunden. Hat man nie wieder was von gehört.“
„Du wolltest uns direkt zu den Boys bringen. Die hätten uns ausgeplündert und umgelegt. Du bist ihre Concierge in Kambeni.“
„Nein, nein. Ich lass’ nicht zu, dass die …“
„Ist immer gut, sich jemandem anzuvertrauen, wenn einem etwas auf der Seele liegt“, sagte Gill und schoss ihm in den Kopf.
„Einfach liegenlassen. Morgen ist nicht mehr viel von ihm übrig“, meinte Roelf, als Gill ihn fragend ansah. Gill nickte. Sein Geist akklimatisierte sich wieder ans Morden.
49
Sie war völlig hilflos. Sie lag zusammengerollt an der Treppe. Nackt und besudelt vom Dreck, der öligen Schmiere und den eigenen Exkrementen. Gesicht nach unten, die zugeschwollenen Augen geschlossen, der Atem röchelnd. Ein dünnes Blutrinnsal floss aus ihrem Unterleib. Wie lange würde es dauern, bis alles wieder von vorne anfing? Es war ihr sogar versagt, den Verstand zu verlieren. Sie überlegte verzweifelt, wie sie sich das Leben nehmen könnte. Nein. Sie hörte ihren Herzschlag. Sie musste jeden einzelnen Herzschlag überstehen. Tief in ihr war etwas Winziges, das in ihr Gehirn sendete, durchzuhalten. Das kann und wird nicht das Ende sein. Es wird etwas geschehen. Du musst daran glauben, dass etwas geschieht. Etwas noch nicht Vorhersehbares. Nicht nur glauben: du weißt es. Es wird etwas geschehen, das dich rettet … Und wenn es das Erbarmen des Todes ist.
50
Sie kamen an einem verwilderten Feld vorbei. Roelf zeigte auf verfaulende Mangos am Straßenrand. „Die Dörfler schlagen die Mangos mit Bambusstöcken ab, bevor sie ganz reif sind, und sammeln sie ein. Wenn die Früchte am Wegesrand verrotten, heißt das, es gibt kein Dorf und keine Menschen in der näheren Umgebung. Wir sind bereits mitten im Territorium der Wild Side Boys. Die Faustregel ist: Sind Menschen auf den Straßen, ist die Gegend sicher. Sieht man keine Seele, ist man in einer Problemzone.“
Die Straße mutierte von roter Erde zu einem matschigen Hohlweg. Dann wurde der Weg wieder zu einem Tunnel aus Dickicht, das kein Sonnenstrahl durchdringen konnte. Ein paar Meter über dem Weg wuchsen Äste, Zweige und Blätter zusammen. Nur ein paar Monate ohne menschliche Aktivität, und der Dschungel erobert die ganze elende Straße zurück. Sie fuhren in den Busch wie in den Bauch eines riesigen Ungeheuers.
„Der schwarzafrikanische Busch ist ein äußerst schwieriges Terrain für den Kampf. Das Dickicht lässt so gut wie keine Aufklärung über die Zahl der Feinde zu. Fünf Meter von dir können sich Gegner verbergen, ohne dass du sie siehst. Bei einem Feuergefecht gibt nur das Mündungsfeuer Zielorientierung. Automatische Waffen eignen sich bestenfalls auf kurze Entfernung. Das Gewirr aus Zweigen, Stämmen und Büschen lenkt alles ab. Der Dschungel ist immer auf Seiten des Verfolgers. Der Fliehende muss sich mühsam durchhacken und einen Pfad erzwingen, während der Verfolger immer näher kommt, einfach dem gehackten Pfad nach. Wenn Sie vor denen flüchten müssen, werfen Sie ihren Rucksack ab. Sie werden sich um den Inhalt streiten. Das verschafft Ihnen einen Vorsprung.“
Hinter einer Kurve machte Roelf eine unerwartete Vollbremsung. Vor ihnen lagen sechs Meter weit Palmenblätter auf dem Weg.
„Die alte Masche“, sagte Roelf und stieg aus. Mit dem Stiefel wischte er die vordersten Blätter beiseite. Darunter lagen einander überlappende Wellbleche. „Das ist ihr Frühwarnsystem. Die Bleche machen einen fürchterlichen Lärm, wenn man drüberfährt. Außerdem könnten Minen darunter liegen.“ Sie gingen vorsichtig um die Bleche herum. Am Rand des Pfades standen Pfähle mit aufgespießten Schädeln. Sie
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