Die Lucifer-Connection (German Edition)
waren noch nicht alle komplett abgefressen. Nicht jeder der Schädel stammte von einem Eingeborenen. Unter einem völlig blanken Totenkopf waren ein Kreuz und ein Rosenkranz angenagelt. Der Priester? Jetzt war Gill wirklich bei Mr. Kurtz angekommen.
Roelf schob ein weiteres Blatt zur Seite. Der Rand eines riesigen Lochs zeigte sich. „Groß genug für einen halben LKW. Ein Fahrzeug, das hier einbricht, kannst du nur mit schwerem Gerät wieder rausziehen. Die Boys sorgen dafür, dass man sich ihrem Lager nicht motorisiert nähern kann. Die Stromschnellen machen einen Angriff vom Fluss her unmöglich. Es gibt nur zwei Wege in ihr Gebiet: zu Fuß und durch die Luft.“
Dumpfe Trommeln erklangen, und Gill kam sich vor wie in einem alten Abenteuerfilm. Waren sie etwa an einem Außenposten vorbeigekommen, ohne ihn zu bemerken? Verkündeten die Trommeln ihre Anwesenheit?
„Das kommt aus Lautsprechern, um Einheimische zu erschrecken. Die sind viel zu faul und zugeknallt, um Musik zu machen. Die liegen rum, hören Rap und gucken Rambo-
Videos.“
Gill holte sein Insektenspray aus dem Bag und wollte sich das Gesicht einsprühen.
„Nein. Tun Sie das nicht. Das riechen die bis auf zehn Meter. Sie haben gute Nasen und leben im Dschungel. Im Dschungel riecht man jemanden, bevor man ihn hört oder sieht. Suchen Sie sich eine Pfütze und schmieren sie sich mit Schlamm ein.“
Gill warf die Spraydose ins Auto.
„Sie müssen jetzt schnellstens zurück. Und … danke.“
Roelf sah Gill an. „Warum machen Sie das eigentlich?“
„Sie hat mir einmal das Leben gerettet. Die Knochen in ihrem Leib sind mir teuer.“
Ein schmales Grinsen. „Ich … ich könnte mitkommen.“
„Nein. Sie haben Ihren Job erledigt. Und der Wagen muss weg. Nichts darf auf meine Anwesenheit hindeuten.“
„Das ist richtig. Eine Patrouille entdeckt ihn sofort. Egal, wie gut ich ihn tarne.“
„Sie waren eine große Hilfe. Wir müssen uns gelegentlich mal einen Abend vollaufen lassen.“
Roelf lachte. „Ich habe mein Leben lang etwas gesucht, wofür ich kämpfen kann, aber nur gefunden, wogegen man kämpfen muss. Irgendwann sollte ich mal was richtig Gutes tun, anstatt nur das Schlechte zu lassen.“
Er reichte Gill die AK-58. In die Mündung hatte er aus Vorsicht Watte gesteckt, damit kein Staub eindringen konnte. Dann die RPG. „Verdammt viel zu schleppen.“ Trotz der mörderischen Schwüle zog Gill seine kugelsichere Weste an. Dabei lief ihm der Schweiß in Strömen aus dem Körper. „Die wird Sie umbringen.“
Gill war völlig durchnässt, als er sich sein Bag auf die Schulter schnallte. Er hüpfte ein paar Mal auf und ab, um sicher zu sein, dass nichts an ihm klapperte oder Geräusche verursachte. Roelf reichte ihm die Wasserflasche: „Trinken Sie jetzt, soviel Sie können. Sie haben nicht viel Wasser bei sich und können vielleicht nicht an den Fluss. Dann trinken Sie erst in Ihrer Nachtposition wieder. Ich bleibe über Nacht in Kambeni. Zu spät, um bis Freetown zu kommen. Ich kann nichts mehr für Sie tun. Und … wenn Sie auf einen Wachtposten treffen, gehen Sie davon aus, dass er nicht alleine ist. In Afrika gibt es keine einzelnen Nachtwachen. Die Nacht gehört den Geistern. Keiner will alleine sein. Rechnen Sie eher mit drei oder vier Männern als mit zweien. Denken Sie daran: Afrika warnt dich nur selten und gibt dir niemals eine zweite Chance.“
„Danke für die Tips.“
„Vorsicht ist gut. Aber es ist wichtig, kein Spiel ernst zu nehmen. Sonst verliert man.“
Roelf stopfte ihm das Medical Kit in den Rucksack. Es enthielt das Nötigste, um ein paar Tage im Busch zu überleben: eine Landkarte, Signalraketen, Blutplasma und ein Serum gegen Schlangengift, das ihm Roelf besorgt hatte. Für trübes Wasser hatte er Jodtabletten dabei.
„Letzte Chance, um es sich anders zu überlegen. Die Kampfhubschrauber können das alleine erledigen.“
„Und aus Wut schneidet ihr einer von denen die Kehle durch. Sie können meine Tapes behalten.“
Roelf lachte. „Mann, Sie sollten die Boys mit Dylan beschallen. Dann würden sie sich von alleine umbringen. Viel Glück.“
„Glück ist für Amateure.“
Roelf stieg in den Toyota und lächelte. „Ich steh’ früh auf und hör’ mir das Feuerwerk an.“ Dann fuhr er rückwärts los.
Gill ging ein paar Meter den Weg entlang, bis er schließlich lautlos in den Urwald glitt. Der verschluckte ihn sofort.
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Er ließ die Ungewissheit hinter sich, hatte Zuversicht in und Krieg
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