Die Lucifer Direktive
Wriston Quad kam, und wurde ein Teil von ihm. Er erreichte das Green – eine große Grünfläche, die von etlichen Spazierwegen durchzogen war –, und sein federnder Gang sowie die wachen strahlenden Augen straften seine mißliche Lage Lügen. Er fühlte sich stark genug, um beim Sicherheitsbüro der Universität vorbeizuschauen, ehe er zur Bank ging. Die Zeitungen hatten die Morde der vergangenen Nacht völlig ignoriert. Er wollte wissen, warum.
»Ist letzte Nacht etwas Komisches passiert?« fragte er den Posten in blauer Uniform, der hinter dem Hauptschalter stand.
»Nichts Besonderes. Wieso?«
»Ich kam gestern so um halb zehn aus der Rock, als ich dachte, ich höre jemanden schreien.«
»Haben Sie uns da angerufen?«
»Nein. Ich hatte heute früh eine dicke Prüfung. Glaube, ich hab' nicht richtig überlegt.«
»Macht nichts«, sagte der Wachmann hinter dem Schalter.
Dan stellte fest, daß er ihn noch nie zuvor hier gesehen hatte, und als Präsident der Studentenvereinigungen war er zu irgendeinem Zeitpunkt mit so ziemlich allen Wachleuten in Kontakt gekommen. Eine Narbe lief quer über die rechte Augenbraue des Mannes. Ein Gesicht, das man nicht so leicht vergaß. »Außer einem Fahrraddiebstahl ist letzte Nacht nichts in der Ecke passiert. Vielleicht haben Sie das gehört.«
»Vielleicht«, wiederholte Dan unbefriedigt.
Er wollte sich zur Tür wenden. Der Mann starrte ihn seltsam an.
»Einen schönen Tag noch«, wünschte der Mann mit der Narbe.
»Ihnen auch.«
Dan stand an der Ecke von Thayer und Waterman Street, nur zwei Blocks von seiner Bank entfernt, und wartete auf einen vorbeifahrenden Bus, ehe er die Straße überquerte. Sein Plan gewann neue Ausmaße. Thayer Street war eine vielbenutzte Strecke, und die Busse waren ewig überfüllt. Wenn er die Bank verlassen hatte, würde er einfach bei einem aufspringen und ein paarmal durch Providence kurven, um sie abzuschütteln, falls sie ihm noch auf den Fersen waren. Sein Verstand arbeitete fieberhaft und suchte nach weiteren Möglichkeiten. Hektische Betriebsamkeit verdrängte seine Angstgefühle. Und als er die Bank erreichte, war er auf sich wütend, daß er vorher soviel Zeit mit Grübeln vergeudet hatte.
Dan füllte ein Auszahlungsformular über die Summe seiner Ersparnisse aus, bis auf einen Anstandsbetrag, reihte sich in die unvermeidliche Schlange ein. Er besaß kein Sparbuch, nur einen Ordner mit den Auszügen. Statement savings nannte sich das. Monatssparen. Der Zinssatz war fast einen Punkt besser, vielleicht ein Dollar mehr im Jahr. Er wurde aufgerufen –
Dan ging zu einem Kassenschalter, wechselte ein flüchtiges Lächeln mit der Kassiererin und reichte ihr sein Auszahlungsformular. Ihre Finger glitten über die Tastatur des Computers und gaben die Informationen aus dem Formular ein. Die Maschine spuckte etwas mehr von dem Papierstreifen aus, der die Transaktion festhielt. Die Kassiererin wiederholte den Vorgang. Wieder spuckte die Maschine.
»Sind Sie sicher, daß Sie die richtige Kontonummer eingetragen haben?« Er nahm den Auszahlungsschein aus ihrer ausgestreckten Hand. »Er nimmt es nicht an.« Ihr Lächeln war verschwunden.
Dan überprüfte die Nummer und stellte fest, daß sie stimmte. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Der Computer sagt, daß Ihr Konto gesperrt ist.«
Wie vor den Kopf geschlagen, wich Dan zurück. Seine Augen waren glasig. Er wußte nicht sicher, ob er noch irgend etwas zur Kassiererin gesagt hatte, bezweifelte aber, daß sie ihn überhaupt gehört hatte. Er wollte sagen, daß ein Irrtum vorliegen müsse, wußte aber, dem war nicht so. Plötzlich war ihm alles klar: Lucifer tat sein Möglichstes, um ihn zu isolieren. Sie hatten sein Konto abgeräumt, denn sie wußten, ohne Geld war er hilflos, ein Gefangener.
Ihr Gefangener.
Wie betäubt strebte Dan dem Ausgang der Bank zu, seine Entschlußkraft und sein Elan waren mit seinen Ersparnissen weggewischt. Er hatte die Reichweite und Macht des Gegners unterschätzt. Zugriff und Kontrolle von Datenspeichern war offensichtlich eine Domäne von Lucifer. Ihrer potentiellen Reichweite waren keine Grenzen gesetzt, und sie griffen nach ihm. Ein Bus krauchte an ihm vorbei und kam quietschend zum Stehen. Dan rannte spontan zu ihm hinüber und sprang hinein. Er brauchte Zeit, sich zu sammeln, nachzudenken. Aber die Busfahrt führte nur zu einer weiteren Gedankenverwirrung. Jeder zusteigende Fahrgast, vor allem, wenn er ihn ansah, gehörte zu dem riesigen Heer
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