Die Lucifer Direktive
stürzen!
Tatsächlich hätte er beinahe damit Erfolg gehabt, wenn sich Dans Gürtel nicht am Stahlgitter verfangen hätte. So hing sein Körper zwischen dem Balkonboden und dem lebhaften Verkehr neun Stockwerke tiefer. Der Mann bekam den Gürtel frei. Dan schlug mit dem Kopf gegen das Geländer und fiel auf die regenbogenfarbenen Kacheln des Balkons. Mit einer Hand fing er den Sturz ab. Mit der anderen klammerte er sich an das Geländer und wehrte sich gegen die konzentrierten Anstrengungen des stoppelbärtigen Mannes, ihn hinüberzuwerfen. Mit einem Bein verlor er den Halt, es baumelte in der Luft. Der Mann machte einen Schritt zurück und trat ihm dann voll in den Magen. Und noch einmal. Und noch einmal.
Ich sterbe, dachte Dan, ich sterbe.
Dann sah er ein paar Zoll vor sich das Messer glänzen. Seine Finger glitten über die Fliesen, tasteten nach seinem Heft. Sein anderes Bein, das sich ums Geländer geklammert hatte, verlor den Halt und blieb wie das erste in der Luft hängen. Magen und Rippen waren wie zerschlagen. Blut tröpfelte seine Kehle entlang. Der große Mann hatte mit den Tritten aufgehört und faßte jetzt nach seinen Schultern, um ihn endgültig übers Geländer zu wuchten.
Genau in dem Moment, als der Mann ihn anhob, bekam seine Hand das Messer zu fassen. Er stieß es vor, richtete die Klinge nach oben. Sie schnitt in irgend etwas, das sich zunächst hart anfühlte und dann seltsam schwammig und weich wurde. Dann folgte ein leises Zischen und ein leichter Schlag, als das Messer bis zum Heft eindrang.
Der große Mann taumelte nach Luft schnappend rückwärts und griff sich an das Loch, das von seinem Brustkorb bis zum Unterleib reichte. Diese plötzliche Bewegung ließ Dan aus seiner gefährlichen Position auf die Fliesen des Balkons stürzen. Als er aufblickte, sah er seinen Killer mit glasigem Blick rückwärts durch die Überreste der Balkontür krachen. Er schlug auf dem Teppich auf, wobei sich seine Finger immer noch um den Messergriff in seinem Bauch krallten. Sein Atem ging schwer und unregelmäßig. Schließlich erstarb er.
Dan kroch durch die zerbrochene Glastür und starrte auf die reglose Gestalt. Der Rest seines Zimmers war eine Flut bedeutungsloser Schemen und Schatten, ohne jeden Sinn. Sein Vorhaben, seine Identität, der Grund seines Hierseins entzogen sich ihm. Er blinzelte. Sein Atem ging erstaunlich ruhig. Er beugte sich über den stillen Brustkorb des Mannes und lauschte auf einen Herzschlag.
Heißer, säuerlicher Atem schlug Dan entgegen, während sich dicke, bläuliche Finger um seine Kehle krallten. Er schrie auf, versuchte zu entkommen, schaffte es aber nicht. Der Griff besaß zwar nur noch den Bruchteil seiner früheren Kraft, reichte aber, um ihm die Luft zu nehmen. Er konnte ihn jedoch nicht daran hindern, das Messer aus dem Körper zu ziehen und es wieder hineinzustoßen.
Dan entwand sich dem Griff.
Der große Mann streckte die Hand nach ihm aus, fuchtelte in der Luft herum. Beinahe hätte er sein Ziel erreicht, als ihn ein kräftiger Krampf übermannte. Der massige Körper bäumte sich auf und lag schließlich still. Dan starrte ihn mit blinden Augen an. Er konnte nicht glauben, daß der große Mann tot war. Er wußte nicht, wie lange es dauerte, bis er sich aufrappelte und das Messer fallen ließ.
Noch verspürte er keine Schmerzen; das käme später. Statt dessen fühlte er nur den Tod, die eisige Wirklichkeit eines gewaltsamen Todes.
Etwas schoß ihm die Kehle hinauf. Er schaffte es gerade rechtzeitig, ins Bad zu kommen, um sich in die Toilette zu übergeben. Als er nichts mehr im Magen hatte und ihn nur noch trockene Würgekrämpfe schüttelten, trat er an die Dusche und ließ sich kaltes Wasser über den Kopf rinnen.
Keine dreißig Schritte entfernt lag ein toter Mann, ein Mann, den er getötet hatte. Seine Finger begannen zu zittern, dann sein ganzer Körper. Er wollte weinen, aber dazu fehlte ihm die Kraft ebenso wie die Fähigkeit.
Das kalte Wasser rann weiter herab.
Dan sank auf den Fußboden und hielt seinen Kopf über die Duschwanne, als wollte er sich in dem eisigen Strahl auflösen.
19
Wieviel Zeit vergangen war, wußte Dan nicht. Das kalte Wasser tat gut, half ihm, wieder zur Besinnung zu kommen.
Sein Körper war eine andere Sache. Es gab keine Stelle, die nicht schmerzte, am schlimmsten fühlte sich sein Kopf an. Das ständige Hämmern schien seine Trommelfelle platzen zu lassen und seine Schläfen zu sprengen. Bei jedem Atemzug schoß ihm
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