Die Ludwig-Verschwörung
für Wagneropern! Ludwig wollte seinem abgöttisch verehrten Lieblingskomponisten mit dem Schloss ein Denkmal setzen. Ihm und der gesamten mittelalterlichen Sagenwelt. Seit der Kindheit war er von ihr fasziniert.«
Steven runzelte die Stirn. »Jedenfalls ist auffällig, dass Marot im Sängersaal diese Sagenwelt bewusst anspricht.« Er zog das Tagebuch hervor und blätterte darin. »Hier!«, rief er. »Er fühlt sich wie ein Parcival oder Tristan, der auszieht, den Heiligen Gral zu suchen.«
»Moment mal«, unterbrach ihn Zöller. »Tristan sucht nicht den Heiligen Gral, das macht Parcival.«
Steven nickte. »Ich glaube auch eher, dass diese Gralssuche insgesamt für unsere Rätselsuche steht. Wir müssen das Lösungswort finden, und es ist irgendwo in der Sagenwelt Wagners verborgen.«
»Na wunderbar!«, stöhnte Sara. »Ich weiß gerade noch, wer Siegfried umgebracht hat. Wenn das Rätselwort mit irgendeiner dieser Figuren zusammenhängt, muss ich leider passen.«
Onkel Lu grinste. »Dafür haben Sie ja mich.« Er stöberte in der Bücherkiste, die sich neben ihm auf der Rückbank befand. »Irgendwo hier drin muss auch ein Nachschlagewerk über Heldensagen sein. Lassen Sie mich nur machen. Schon bald werden wir wissen, was uns der liebe Theodor eigentlich sagen wollte.«
Unwillkürlich musste Steven an Saras Telefonrecherchen denken. Sollte der gutmütige Onkel Lu wirklich etwas gegen sie im Schilde führen? Aber warum hatte er ihnen dann bislang geholfen? Grübelnd lehnte Steven sich im Sitz zurück und versuchte zu dösen, doch die ständige Kurverei riss ihn immer wieder aus seinen Träumen, in denen es von Helden, Zauberern und Königen wimmelte.
Sie fuhren immer nach Westen über kleine Landstraßen entlang der Alpen. Beim Anblick der frisch gemähten Blumenwiesen, der Moore, bunten Laubwälder und urtümlichen Bauernhöfe, die sich im Sonnenlicht links und rechts des Weges erstreckten, glaubte Steven einmal mehr zu verstehen, warum sich die Bayern so gerne für etwas Besonderes hielten. Hier in diesem südlichen Zipfel Deutschlands schien tatsächlich die Zeit stehen geblieben zu sein. Hier spürte man noch eine Epoche, die weniger kompliziert war, dafür heute mit Sehnsüchten, Klischees und falschen Vorstellungen überfrachtet wurde.
Und Ludwig II. ist der Götze, vor dem die Menschen diese alte Zeit anbeten …
Nach gut zwei Stunden hatten sie endlich das Städtchen Füssen erreicht und näherten sich nun Neuschwanstein und dem gegenüberliegenden älteren Schloss Hohenschwangau. Die beiden Burgen krallten sich in die Wände eines schmalen Seitentals, das nach Süden hin von einem kleinen Gebirgssee begrenzt wurde. Während Hohenschwangau – das Schloss, in dem Ludwig seine Kindheit verbracht hatte – eher unscheinbar wirkte, war Neuschwanstein der Inbegriff einer Märchenburg. Steven wusste zwar, dass keine mittelalterliche Burg jemals so ausgesehen hatte, trotzdem verkörperte das Gebäude auf dem Felssockel, mit seinen puderzuckerweißen Türmen, Zinnen und spitzen Dächern, den Archetypus jenes Mittelalters, das sich viele Menschen heute wünschten.
Wie viele, wurde Steven allerdings erst klar, als sie auf einen der großen Sammelparkplätze im Tal zusteuerten. An der schmalen Straße zwischen den beiden Schlössern reihten sich Hotels, Restaurants, Souvenirshops und überteuerte Imbissbuden. Dazwischen wogte eine lärmende Menge von Amerikanern, Japanern, neureichen Russen und einem Dutzend anderer Nationen hinauf zum Ticketcenter.
Als sie auf einem der letzten freien, maßlos überteuerten Parkplätze zum Halten kamen, zog Sara geräuschvoll die Luft ein. Steven starrte durch die Windschutzscheibe und zuckte unwillkürlich zusammen. An dem Kiosk direkt neben der Einfahrt stand mit laufendem Motor ein Polizeifahrzeug.
»Na bitte«, sagte der Antiquar ergeben. »Sie haben uns entdeckt. Was jetzt?«
»Was schon?«, erwiderte Sara trotzig. »Wir warten. Ein Polizeiauto parkt in Schwangau, na und? Vielleicht wollen sich die lieben Beamten mal Neuschwanstein ansehen. Oder sie haben einfach Hunger. Da, schau selbst.« Sie deutete auf einen nicht weit entfernten Kiosk, an dem ein beleibter Polizist mit einer Currywurst stand. Gemächlich schlenderte der Beamte zurück zum Fahrzeug, in dem sein Kollege wartete und gelangweilt irgendeinen Takt auf die Armaturen trommelte.
Sara lächelte erleichtert. »Na, was sag ich? Alles halb so wild.«
Plötzlich starrte der dicke Polizist in ihre Richtung
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