Die Ludwig-Verschwörung
traurigste Aufgabe meines Lebens, die ich übernommen habe. Majestät sind von vier Irrenärzten begutachtet worden, und nach deren Ausspruch hat Prinz Luitpold die Regentschaft übernommen.«
»Aber wie können Sie mich denn für verrückt erklären?«, ließ sich Ludwig matt vernehmen. »Sie haben mich ja vorher gar nicht angesehen und untersucht!«
»Majestät, das war nicht notwendig. Das Aktenmaterial ist sehr reichhaltig, es ist geradezu erdrückend.«
Ludwig sah den Arzt plötzlich mit festem Blick an. Wie so oft schien seine Stimmung von einer Sekunde auf die andere zu wechseln, er wirkte jetzt äußerst vernünftig.
»Wie können Sie als seriöser Nervenarzt so gewissenlos sein und ein derartiges Gutachten ausstellen?«, fragte er in sachlichem Ton. »Ein Gutachten, das über das Leben eines Menschen entscheidet, den Sie seit Jahren nicht mehr gesehen haben? Wie soll so etwas gehen?«
»Das … das Gutachten ist nach Aussagen von Dienern erstellt worden«, erwiderte der Arzt und sah sich nervös nach seinem Assistenten um. »Wie gesagt, es ist mehr als ausreichend.«
Von meinem Beobachtungsort an der Treppe aus spürte ich, wie Dr. von Gudden immer unsicherer wurde, er nahm den Kneifer ab und begann ihn umständlich zu putzen. Offensichtlich hatte er damit gerechnet, auf einen stammelnden Irren und nicht auf einen Menschen mit klarem Verstand zu treffen. Ludwig echauffierte sich derweil weiter.
»Ein Gutachten, das auf der Aussage bezahlter Individuen beruht?«, empörte der König sich. »Zum Dank und Lohn haben sie mich verraten!«
Gudden ging nicht darauf ein. »Euer Majestät«, sagte er mit belegter Stimme, »ich habe den Befehl, Sie nach Schloss Berg zu begleiten, und zwar noch heute Nacht. Der Wagen wird um vier Uhr früh vorfahren.«
Ich zuckte zusammen. Der König ging gar nicht nach Linderhof, er ging nach Berg! Offenbar waren die Pläne kurzfristig geändert worden! In meinem Kopf rasten die Gedanken. Dürckheim bereitete soeben eine Flucht aus Linderhof vor, doch dieses Vorhaben war nun hinfällig geworden. Was sollte ich tun? Die Zeit lief uns davon, denn je länger Ludwig in der Gewalt der Verschwörer war, umso unwahrscheinlicher wurde eine Befreiung. Vermutlich baute man jetzt schon Schloss Berg zum Gefängnis aus, außerdem würde die Empörung beim Volk über diesen Staatsstreich mit jedem Tag nachlassen. Wir mussten unverzüglich handeln!
Noch immer stand ich wie erstarrt in einer Nische der Wendeltreppe. Weder Gudden noch der König hatten mich bislang gesehen. Erst nach einer Weile fasste ich meinen Entschluss. Ich schlich die Treppe nach unten und wollte soeben auf den Burghof hinaustreten, als ich bemerkte, dass einige der Gendarmen am Tor wachsam auf und ab patrouillierten. Offenbar hatten sie strikte Weisung, keinen mehr hinauszulassen. Im Hof standen bereits die schwarzen überdachten Kutschen, die Ludwigs Begleitzug nach Berg bilden sollten.
Leise fluchend begab ich mich zurück ins Innere des Schlosses, um nach einem anderen Ausweg zu suchen. Ich musste unbedingt meine Mitverschwörer warnen! In diesem Augenblick fiel mir der Thronsaal im dritten Stock ein. Der Söller an dessen Westseite war zwar mindestens fünfzehn Schritt hoch, aber es war unwahrscheinlich, dass die Gendarmen auch auf dieser Seite Wache hielten.
Nach kurzem Zögern eilte ich zurück in die Dienergemächer, wo ich einige Betttücher an mich raffte und mit diesem Packen wieder nach oben schlich. Von links waren aus der Richtung des Schlafgemachs noch immer die Stimmen Guddens und des Königs zu hören. Ohne weiter auf sie zu achten, ging ich hinüber in den Thronsaal und schloss leise die beiden großen Türflügel. Allein in dem hohen Gewölbe mit seiner sternenübersäten Kuppel und dem gewaltigen Kronleuchter fühlte ich mich beinahe wie in einem fernöstlichen Grabmal.
Endlich auf dem Balkon angelangt, begann ich hastig die Betttücher zusammenzuknoten. Von Zeit zu Zeit blickte ich nach unten in die Tiefe, wo die Mauern des Schlosses jäh in einem Gestrüpp endeten. Weiter im Süden war im Mondlicht die Pöllatschlucht zu erkennen, über die sich die schmale Marienbrücke spannte, die Ludwig seiner wanderfreudigen Mutter hatte bauen lassen. Obwohl es Juni war, wehte hier oben auf dem Söller ein eisiger Wind, und dunkle Regenwolken schoben sich von den Bergen heran.
Nach einer guten Viertelstunde hatte ich die Laken zu einem langen Tau verknüpft, das ich nun an einem der Säulen
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