Die Ludwig-Verschwörung
Kunsthistorikerin«, erwiderte die Fremde und hielt ihm die Tür auf. »Und eines vorweg: Meine Arbeit ist stinklangweilig. Ich blättere in armdicken Kunstkatalogen, surfe im Internet, telefoniere, bis mir der Kopf raucht, und zur Abwechslung darf ich ab und zu in irgendeine Ausstellung mit alten Schinken, wo mir der Museumsdirektor misstrauisch über die Schulter guckt.« Ihre Lippen wurden schmal. »Also vergessen Sie am besten den ganzen Detektivblödsinn, den Sie aus Filmen und Büchern kennen. Davon abgesehen betrachte ich mich in diesem Fall weniger als Detektivin, sondern vielmehr als Nichte.«
Ohne ein weiteres Wort betrat sie das kleine Häuschen. Steven folgte ihr und schaute sich verwundert um. Im Inneren wirkte das Gebäude viel größer, als es von außen den Anschein machte. An den Wänden eines hellorange gestrichenen, sanft beleuchteten Ganges hingen Drucke deutscher Expressionisten neben Werken von Toulouse-Lautrec und modernen Aktfotografien. Zur Rechten passierte Steven einen Durchgang, an dessen Ende er eine kleine Küche und ein dahinterliegendes Schlafzimmer erkennen konnte. Eine Tür zur Linken führte in ein lichtes Büro, das offensichtlich fast das halbe Erdgeschoss einnahm. Auch hier befanden sich unzählige, von kleinen Halogenleuchtern illuminierte Bilder und Skulpturen, die dem fast drei Meter hohen Raum den Anschein einer exklusiven Kunstgalerie gaben.
»Was ist das hier?«, fragte Steven erstaunt. »Das Museum of Modern Art?«
»O Gott, nein! Nur mein Büro.« Die Fremde lächelte. »Ich weiß, es fehlt der Gummibaum. Aber dafür stimmt die Aussicht.«
Anerkennend sah Steven aus dem großen Panoramafenster, das den Blick auf Büsche, Bäume und den Englischen Garten dahinter freigab. Die Fremde hatte wirklich Geschmack, wenn er auch vielleicht nicht ganz dem seinen entsprach. In der Mitte des Büros stand ein protziger nierenförmiger Tisch aus den Fünfzigern, vollgestellt mit Kunstkatalogen, Aktenordnern, leeren Chinafood-Schachteln und schmutzigen Kaffeetassen. Dazwischen thronte ein mit gelben Pinn-Zetteln gespickter Computer.
»Tut mir leid, ich bin noch nicht zum Aufräumen gekommen«, sagte die junge Frau, die offenbar Sara Lengfeld hieß. Sie räumte ein paar Prospekte und Bildbände vom breiten Ledersofa, bevor sie sich mit einem müden Seufzer niederließ. »War wohl etwas zu viel in den letzten Tagen.«
Schweigend setzte sich Steven neben sie und bewunderte kurz ihre langen, übereinandergeschlagenen Beine, die in bequemen Ballerinas steckten. Sara Lengfeld hatte ihr giftgrünes Regencape ausgezogen und das Kopftuch abgestreift, die Sonnenbrille steckte wie ein zweites Paar Augen in ihren brünetten Haaren. Sie trug Jeans und darüber einen engen grünen Wollpulli, der ihr bis über die Hüfte reichte. Erst mit einiger Verzögerung fiel Steven ein, warum er eigentlich hier war.
»Der Tote aus der Zeitung«, begann er stockend. »Das ist tatsächlich Ihr Onkel?«
Sie nickte. »Professor Paul Liebermann von der Universität Jena. Der ältere Bruder meiner Mutter. Wir hatten uns allerdings schon vor einiger Zeit aus den Augen verloren. Ich glaube, das letzte Mal, als ich ihn gesehen habe, hat er mir Pinocchio vorgelesen.« Sie lächelte kurz. »Ich bin eher eine … Einzelgängerin, müssen Sie wissen. Liegt bei uns in der Familie. Nun ja, vielleicht bringt das auch der Beruf mit sich.«
»Was machen Sie genau, wenn ich fragen darf?«, erkundigte sich Steven.
»Ich suche verschollene Bilder. Gestohlene Kunstwerke, Beutekunst, Gemälde, die seit langem als vermisst gelten. Jedes Jahr wird weltweit Kunst im Wert von sechs Milliarden Dollar geraubt, aber die meisten Bilder tauchen irgendwann wieder auf. Auf Auktionen, in Galerien, Museen und Privatsammlungen.« Sie stand auf und warf Steven einen der dicken Kataloge vom Tisch zu. »Mein Job ist es, diese Gemälde wiederzufinden. Dafür bekomme ich einen Prozentsatz vom tatsächlichen Wert. Und dazu meistens einen Haufen wüster Beschimpfungen von den vorherigen Besitzern«, fügte sie grinsend hinzu. »Oft wissen die vermeintlichen Eigentümer nämlich gar nicht, dass es sich um ein gestohlenes Bild handelt. Wenn ich eine Galerie betrete, schlägt der Ausstellungsleiter drei Kreuze und mixt mir ein Abführmittel in den Prosecco.«
Steven legte den Katalog zur Seite und sah sich um. »Offenbar ein lukrativer Job. Aber was hat das nun mit Ihrem Onkel zu tun?«
Schlagartig wurde Sara wieder ernst. »Dürfte ich zunächst
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