Die Ludwig-Verschwörung
Onkel Ihnen dieses exklusive Hobby vererbt. Aber es passt natürlich hervorragend zu einer Detektivin.«
Sara Lengfeld sah ihn mit eisgrauen Augen an. »Herr Lukas, wenn Sie mich für blöd verkaufen wollen, haben Sie sich geschnitten. Ich bin zwar tatsächlich Kunstspezialistin fürs 19. Jahrhundert, aber davon abgesehen ist es mir persönlich schnurzegal, wie Ludwig II. ums Leben gekommen ist. Von mir aus kann er auch geschminkt und mit Pumps in einer Sahnetorte ertrunken sein. Was mir jedoch nicht egal ist, ist der Tod meines Onkels. Und um den geht es hier vornehmlich, klar?«
»Verzeihen Sie«, murmelte Steven. »Das war wirklich taktlos von mir.«
Sara winkte ab. »Geschenkt.« Sie zog eine zerknautschte Packung Mentholzigaretten hervor und zündete sich eine an. Erst nachdem sie ein paar Mal tief inhaliert hatte, fuhr sie fort.
»In den letzten Jahren hatte Onkel Paul das Internet für sich entdeckt. Auf diese Weise erfuhr er wohl auch von einer kleinen Auktion in der Nähe von Nürnberg. Eine Wohnungsauflösung, bei der dieses merkwürdige Objekt hier zum Verkauf angeboten wurde.« Sie hob den hölzernen Behälter hoch und schüttelte ihn leicht. »Dabei war Paul wohl vor allem an dem Tagebuch im Kästchen interessiert, wegen dem Namen des Verfassers. Theodor Marot.«
»Der Assistent des königlichen Leibarztes Max Schleiß von Loewenfeld«, warf Steven ein.
Sie nickte. »Marot war ein junger ehrgeiziger Bursche aus Straßburg, der seit 1872 in München an der chirurgischen Klinik beschäftigt war. Dort hat ihn Loewenfeld wohl entdeckt und zu seinem Assistenten gemacht.« Sie nahm einen weiteren tiefen Zug von ihrer Zigarette. Der Geruch von verbranntem Tabak und Menthol ließ Steven leicht schwindlig werden. Außerdem musste er immer wieder auf Saras grün lackierte Fingernägel starren.
»Was Marot für die Ludwig-Forschung so interessant macht, ist Folgendes«, fuhr Sara fort. »Loewenfelds Assistent war nicht nur ehrgeizig und schlau, er war auch ausgesprochen gutaussehend, ein echter französischer Dandy mit einem Faible für Kunst. Ludwig muss sich in ihn verguckt haben. Jedenfalls taucht er ab 1875 immer wieder in den Briefen des Königs auf. In einigen Chroniken heißt es sogar, Marot sei Ludwigs liebster Spielkamerad gewesen. Und …« Sie machte eine dramatische Pause und lächelte. »Er war ganz offensichtlich bis zum Ende im Schloss Berg bei ihm. Es gibt mehrere Zeugen, die davon berichten, dass Theodor Marot nach Ludwigs Tod von Mord geredet hat.«
Steven pfiff leise durch die Zähne. »Als ich die alten Fotos und die Haarlocke sah, dachte ich zunächst, es ginge nur darum, dem König irgendeine homosexuelle Beziehung nachzuweisen«, murmelte er. »Aber wenn ich Sie richtig verstehe, steckt in dem Tagebuch weitaus mehr. Ihr Onkel hat also wirklich geglaubt, dass damit das sagenumwobene Geheimnis um den Tod Ludwigs II.gelüftetwerdenkönnte?«
»Sagen wir so, er hat es gehofft«, erwiderte Sara Lengfeld. »Er hat das Kästchen mit dem Buch für nur wenige hundert Euro übers Internet ersteigert. Aber als das Paket endlich bei ihm ankam, musste er enttäuscht feststellen, dass das Tagebuch in irgendeiner Geheimschrift verfasst war, die er nicht lesen konnte. Also ist er nach München gekommen und hat mich um Hilfe gebeten.« Sie drückte die Zigarette so energisch aus, dass Steven Sorge hatte, sie könnte sie durch den Aschenbecher bohren.
»Als Kunsthistorikerin weiß ich von ein paar Leuten, die sich mit so etwas auskennen«, fuhr sie fort. »Aber offensichtlich war auch irgendjemand anders hinter dem Buch her. Gestern war ich mit meinem Onkel verabredet, doch er kam nicht. Ich hab zunächst versucht, ihn übers Handy zu erreichen. Schließlich bin ich heute Mittag in sein Hotel, und da war schon der Teufel los. Polizei, Spurensicherung, das ganze Programm. Ich hab einen Freund beim LKA angerufen, der hat mir dann alles erzählt.« Gedankenverloren zündete sie sich eine neue Zigarette an und starrte auf ein Bild aus bunten, ineinander verschachtelten Quadraten an der Wand gegenüber. »Ich hab Onkel Paul zwar nicht gut gekannt, aber das hat mir wirklich den Boden unter den Füßen weggezogen«, murmelte sie schließlich. »Gefoltert und hingerichtet, nur für ein verdammtes Buch.«
»Darf ich erfahren, wie Sie mich gefunden haben?«, fragte Steven zaghaft.
Ein schmales Lächeln zeigte sich auf Saras Lippen. »Als die Polizei weg war, bin ich noch mal ins Hotel«, erklärte sie.
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