Die Ludwig-Verschwörung
richtete sich auf und musterte die Frau mit der schwarzen Sonnenbrille abfällig. »Hören Sie, wenn Sie mit dem Typen was zu tun haben, der gestern Abend hier aufgekreuzt ist, dann …«
»Welcher Typ?«
»Na, eben der, der mich das Gleiche gefragt hat wie Sie. Ob ich Bücher über König Ludwig II. habe.«
»Er hat was?!«
In diesem Augenblick sah Steven hinter der Schulter der Frau etwas aufblitzen, ein kurzes Flackern hinter der Seitenscheibe eines schwarzen Chryslers, der auf dem menschenleeren Bürgersteig parkte. Zwei kräftig aussehende Männer in dunkelgrünen Boxerjacken stiegen aus und kamen in der Dämmerung langsam auf das Antiquariat zu. Als die Frau sie bemerkte, wurde ihr Gesicht hinter der Sonnenbrille plötzlich kalkweiß. Sie betrat den Laden und sah sich gehetzt in dem notdürftig aufgeräumten Raum um.
»Können Sie die Tür absperren?«, zischte sie.
»Äh, ja … aber das wird nichts nützen.« Steven deutete auf die zerstörte Scheibe. »Das Fenster ist kaputt. Und überhaupt, was …«
»Himmelherrgott, tun Sie, was ich sage! Und zwar schnell!« Die Stimme der Frau hatte nun gar nichts mehr von Frühstück bei Tiffany. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie in einem leichten Berliner Dialekt redete. »Sperren Sie ab, und dann helfen Sie mir, das Regal vor das Schaufenster zu rücken. Das sollte sie wenigstens kurz abhalten.« Sie begann bereits an dem Möbelstück zu zerren, während Steven verwirrt die Tür absperrte.
»Ich fürchte, Sie schulden mir eine Erklärung«, murmelte er. »Haben diese Männer Ihnen etwas getan? Sind sie hinter Ihnen her?«
»Nicht hinter mir, Sie Idiot! Hinter Ihnen! Und jetzt schieben Sie gefälligst!«
Zu entgeistert, um etwas erwidern zu können, half Steven, das Regal vor die zerstörte Scheibe zu ziehen. Nur einen Augenblick später hämmerte es an der Tür.
»Herr Lukas!«, rief eine tiefe heisere Stimme. »Wir wissen, dass Sie da drinnen sind. Seien Sie nicht albern. Wir tun Ihnen nichts, wir wollen uns nur kurz unterhalten. Sie besitzen etwas, das uns gehört. Leider haben wir es gestern Nacht nicht gefunden. Herr Lukas, hören Sie mich?« Die Stimme klang nun immer fordernder. »Wir sind durchaus bereit, Ihnen eine hübsche Summe für das Buch zu zahlen. Wie viel wollen Sie? Zehntausend? Zwanzigtausend?«
Steven wollte schon zu einer Antwort ansetzen, doch die Frau neben ihm hielt den Finger vor den Mund.
»Haben Sie es?«, flüsterte sie.
»Was?«
»Sie wissen genau, was ich meine. Also, haben Sie es?«
Steven zögerte kurz, dann nickte er. »Ich glaube … ja«, erwiderte er stockend. »Es ist auf dem Tisch in meiner Tasche. Auch wenn ich nicht weiß …«
»Gibt es einen Hinterausgang?«, unterbrach ihn die Frau.
Steven deutete hinter die Regale an der rückwärtigen Wand. »Neben dem Klo ist eine kleine Tür, die zum Hinterhof führt. Glauben Sie wirklich, dass …«
In diesem Moment ertönte von draußen wieder die tiefe Stimme des Mannes. »Hören Sie, Herr Lukas, wir können auch anders. Diesmal haben wir Ihren Laden nur durchsucht, das nächste Mal zünden wir ihn einfach an. So viel Papier … das brennt bestimmt so hell, dass man’s noch in Garmisch sehen kann. Also, was ist? Denken Sie an die Summe, die Sie verdienen können. Eins …«
»Raus hier!«, zischte die Frau neben ihm. »Und vergessen Sie Ihre Tasche nicht!«
»Zwei …«
Steven fluchte leise. Die beiden Männer dort draußen machten nicht den Eindruck, als wäre mit ihnen zu spaßen. Wenn er ihnen das Kästchen gab, würden sie ihn vermutlich in Ruhe lassen. Außerdem hatten sie ihm gerade zwanzigtausend Euro geboten. Zwanzigtausend! Damit konnte er die Miete bis übernächstes Ostern zahlen, vielleicht sogar länger. Sein Blick wanderte zu der Tasche auf dem Tisch.
»Zweieinhalb …«
»Tun Sie’s nicht!«, flüsterte die Frau, die offenbar seine Gedanken gelesen hatte. »Sie glauben doch nicht, dass die Ihnen ein paar Scheine in die Hand drücken und Sie einfach laufen lassen! Sie haben meinen Onkel umgebracht, und sie werden mit Ihnen genau das Gleiche tun. Wenn Sie denen das Kästchen geben, sind Sie tot. Und zwar schneller, als Sie kleiner Antiquar ›Reichsdeputationshauptschluss‹ sagen können.«
Nervös sah Steven zum verbarrikadierten Schaufenster, hinter dem sich die Umrisse zweier breitschultriger Gestalten abzeichneten. Eine von ihnen zog gerade einen kleinen schwarzen Gegenstand unter seiner Jacke hervor, der verdächtig einer Pistole
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