Die Ludwig-Verschwörung
aufhören«, unterbrach sie Steven. »Sagen Sie mir klipp und klar, was hier läuft. Ansonsten steige ich mit der Tasche auf der Stelle aus, verstanden?«
»Bei Tempo 90 auf dem Mittleren Ring? Na denn, viel Spaß.«
Steven seufzte. Wieder fiel ihm der Berliner Dialekt der Frau auf, der hier im bayerischen München ziemlich ungewohnt klang.
»Jetzt mal im Ernst«, erklärte er nun betont ruhig. »Finden Sie nicht auch, dass wir für solche Kindereien ein wenig zu alt sind?«
»Sie vielleicht, ich nicht.« Die Fremde wechselte in den dritten Gang, um über eine Ampel zu kommen, die gerade auf Rot umschaltete. »Aber Sie haben recht. Für Kindereien ist schon zu viel Blut geflossen.«
»Blut? Aber wieso …?«
Sie griff, ohne das Tempo zu verlangsamen, ins Handschuhfach und zog eine zerknitterte Zeitung hervor, die sie Steven kommentarlos reichte. Er erkannte, dass es sich um die frische Abendausgabe handelte.
»Schlagen Sie Seite zwölf auf. Der obere Artikel.«
Steven blätterte, bis er die erwähnte Stelle fand. Sofort schlug sein Puls schneller. In der Mitte der Zeitung erblickte er das leicht unscharfe Porträt eines Mannes, den er kannte. Es war der nette ältere Fremde mit dem grauen Bündel, der gestern seinen Laden aufgesucht hatte. Darüber prangte eine schmissige, 20 Punkt fette Titelzeile.
MARTER-TOD IM WALD:
PROFESSOR GEFOLTERT UND ERMORDET
Polizei steht vor einem Rätsel
Hastig überflog Steven den sensationsheischenden Artikel. In markigen Sätzen ging daraus hervor, dass der 67-jährige Professor Paul Liebermann von der Universität Jena auf entsetzliche Weise ums Leben gekommen war. Man hatte ihn gestern Abend in einem Waldstück vor München mit zerschossenem Schädel aufgefunden. Offenbar war der emeritierte Geschichtsprofessor zuvor betäubt, verschleppt und anschließend gefoltert worden. Seine Leiche hatte inmitten zerfetzter Buchseiten gelegen, die zurzeit noch weiter untersucht würden. Hinweise versprach sich die Polizei vor allem von der merkwürdigen Tatwaffe, Näheres dazu folge in der morgigen Ausgabe. Danach kamen ein paar Zeilen zum Lebenslauf des Professors und einige schlüpfrige Vermutungen, die ihn in die Nähe des Rotlichtmilieus rückten.
»Es war ein Derringer«, sagte die Frau plötzlich.
Steven schreckte von der Zeitung auf. »Was?«
»Die Mordwaffe. Ich hab mich ein bisschen umgehört. Am Tatort wurden zwei Randfeuerhülsen mit Kaliber .44 gefunden. Das sind Hülsen von Patronen, die heute nicht mehr verwendet werden. Im 19. Jahrhundert jedoch war diese Munition in kleinen verzierten Pistolen durchaus üblich, vor allem bei der amerikanischen Derringer-Pistole. Ein hübsches Spielzeug. Der gute alte Präsident Lincoln wurde auch mit so einem Derringer erschossen.«
Steven runzelte die Stirn. »Soll das heißen, das Opfer wurde mit einer Waffe getötet, die es heute gar nicht mehr gibt?«
»Oder von jemandem, der eigentlich seit über hundert Jahren nicht mehr leben dürfte«, erwiderte die Fremde und bog mit quietschenden Reifen in eine Seitenstraße ein. »Was die Auswahl der Verdächtigen zumindest einschränkt.«
»Woher wissen Sie das alles?«, fragte Steven argwöhnisch. »Sie haben gesagt, Sie sind die Nichte dieses Professors, der mich gestern aufgesucht hat. Aber Sie klingen eher wie jemand von der Polizei.«
»Warten Sie, bis wir bei mir sind. Dann erkläre ich Ihnen alles.«
Schweigend reihten sie sich ein in den Abendverkehr, der sie über die Ludwigsstraße mit ihren imposanten weißen Gebäuden ins Münchner Schickeriaviertel Schwabing brachte. Vorbei an Boutiquen, Diskotheken und Szenekneipen, vor denen sich jetzt am Abend bereits die ersten lärmenden oder lautstark telefonierenden Nachtschwärmer versammelten, endete die Fahrt in einer ruhigen Seitenstraße nahe des Englischen Gartens.
Die Fremde parkte den Mini in einer so schmalen Lücke, von der Steven vermutete, dass er dort nicht mal sein Fahrrad hätte abstellen können. Mit der Zeitung in der Hand stieg Audrey Hepburn aus und näherte sich einem geduckten altmodischen Häuschen mit winzigem Vorgarten, das zwischen all den modernen Glasbauten aus der Zeit gefallen schien. Neben der Tür befand sich ein bronzenes Schild mit verschlungenen Lettern. Steven warf einen Blick darauf und sah dann erstaunt hinüber zu der Frau mit der schwarzen Sonnenbrille.
»Dr. Sara Lengfeld. Kunstdetektei«, murmelte er. »Sie sind wirklich Detektivin?«
»In erster Linie bin ich promovierte
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