Die Ludwig-Verschwörung
»BELSAZAR, THAL, ZAUBERIN, LORELEI, WINSPERG, FLUCH, RING, SIEGERICH, TAUCHER, FISCHER, LEGENDE, BALLADE … Können Sie damit irgendwas anfangen?«
»Belsazar, Lorelei, Taucher … Das sind alles Titel von deutschen Balladen«, sagte Steven nach einigem Zögern. »›Der Fischer‹ ist meines Wissens von Goethe, und ›Fluch‹ deutet möglicherweise auf die Ballade ›Des Sängers Fluch‹ von Ludwig Uhland hin. Aber was das alles soll?« Zornig schlug er auf das Lenkrad ein, so dass die Hupe kurz jämmerlich trötete. »Verdammt, langsam glaube ich, dass dieser Marot sich mit dem ganzen Buch einfach nur einen Scherz erlaubt hat.«
»Für einen Scherz betreibt er reichlich viel Aufwand.« Sara pfiff leise durch die Zähne. »Ich nehme nicht an, dass WDC auch ein Gedichttitel ist, oder?«
Steven runzelte die Stirn. »Was meinen Sie damit?«
»Ich habe gerade ein weiteres verschlüsseltes Wort eingegeben, und zwar aus dem nächsten Kapitel, das Sie noch nicht übersetzt haben. Offenbar brauchen wir ab hier einen anderen Code.«
»Ach du Scheiße«, sagte Steven leise. »Und wo sollen wir den finden?«
Sara blätterte hektisch durch Marots abgegriffenes Tagebuch. »Ich kann ja keine Kurzschrift«, erwiderte sie schließlich. »Aber Großschrift beherrsche ich dann doch. Und die nächsten Wörter, die Marot groß geschrieben hat, sind HERRENCHIEMSEE und KOENIG. Vermutlich finden wir erst auf Herrenchiemsee heraus, was es mit diesen Gedichttiteln auf sich hat. Und als zusätzlichen Hinweis hat uns der liebe Herr Marot diesmal das reichlich abgenudelte Wort KOENIG hinterlassen.«
»Ludwigs Schloss auf dem Chiemsee!« Steven lachte verzweifelt auf. »O Gott, das ist eine ganze Insel! Wie sollen wir da bloß was finden?«
»Das weiß ich auch nicht«, erwiderte Sara und starrte gedankenverloren auf die zwei Lichtkegel, die die Scheinwerfer vor ihr in die Dunkelheit frästen. »Aber ich glaube, es ist an der Zeit, jemanden um Hilfe zu bitten. Jemanden, der sich mit diesem ganzen Ludwig-Scheiß wirklich auskennt.« Sie deutete auf eine Ausfahrt, die plötzlich vor ihnen auftauchte. »Biegen Sie dort vorne rechts ab. Wir fahren zu Onkel Lu.«
Lancelot hielt sich sein rechtes Augenloch, aus dem immer noch eine rötliche Flüssigkeit lief. Die Schmerzen und der Hass ließen ihn fast rasend werden. Sie war ihm entwischt. Eine Frau! Wie hatte das nur passieren können?
Es war ein absoluter Glücksfall gewesen, dass er sie mit der Maske unter all den Gästen überhaupt entdeckt hatte. Erec und Bors hatten vorgestern vor dem Antiquariat eine Menge Fotos von ihr geschossen, doch die meisten waren verwackelt oder unscharf gewesen. Im Grunde war es mal wieder sein ungewöhnlicher Jagdinstinkt gewesen. Als ehemaliger Bodyguard hatte er ein Gespür für Menschen entwickelt. Er erkannte seine Opfer am Gang, an der Haltung oder ihren nervösen Bewegungen. Manchmal glaubte er sogar, ihren Angstschweiß zu riechen.
Da der Antiquar nicht an ihrer Seite gewesen war, hatte Lancelot einige Zeit gebraucht, die Frau zu erkennen. Dann war er unter all den Gästen zunächst nicht an sie herangekommen. Als sie schließlich den dunklen Laubengang betreten hatte, glaubte er leichtes Spiel zu haben.
Das wird sie mir büßen! Bei Gott, büßen wird sie das!
Halbblind taumelte er nun Richtung Schloss, wobei er beinahe mit einem Liebespärchen zusammenrumpelte, das bei seinem Anblick laut schreiend das Weite suchte. Schließlich duckte sich der Riese hinter einer Hecke und beobachtete von dort aus das bunte, laute Treiben. Von dem Flittchen und dem Antiquar war keine Spur zu entdecken.
Wo mochten sie nur sein?
Im nächsten Augenblick erinnerte Lancelot sich daran, was die Frau vorhin gesagt hatte: Sie hätten bereits seit gestern gesucht und nichts gefunden. Also waren sie über Nacht geblieben, und wo blieb man hier über Nacht?
Lancelots Blick glitt langsam hinüber zum Hotel, und unwillkürlich musste er grinsen. Wenn er Glück hatte, waren die Vögelchen noch nicht ausgeflogen, und er konnte ihnen in ihrem Zimmer eine hübsche Überraschung bereiten. Vom Hotel aus würde er auch einen Arzt rufen, obwohl er fürchtete, dass das Auge nicht mehr zu retten war. Aber dafür würde jemand zahlen müssen! Der Riese klopfte sich den Dreck aus dem Anzug, drückte das weiße Taschentuch auf die blutige Augenhöhle und rannte im Eilschritt Richtung Schlosshotel.
Der Nachtportier, der in der Rezeption seinen Dienst tat, war müde und unrasiert,
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