Die Ludwig-Verschwörung
Abends nehmen wir uns dann das Schloss vor.«
Steven runzelte die Stirn. »Haben die dort so spät nicht zu?«
»Lassen Sie sich überraschen.« Zöller deutete auf Stevens ausgebeulten Rucksack. »In der Zwischenzeit können Sie das Buch weiter übersetzen. Vielleicht stoßen Sie ja auf etwas, was uns bei der Entschlüsselung der nächsten Wörter weiterhilft.«
Steven seufzte. »Ich hatte so was geahnt. Also gut, wir treffen uns gegen sechs Uhr abends an der Kapelle wieder. Viel Spaß beim Suchen.«
Müde schulterte er den Rucksack und streifte ziellos durch die Insel auf der Suche nach einem schattigen ungestörten Platz, wo er weiter Marots Tagebuch übersetzen konnte. Ein Uferweg führte ihn nach Süden, bis er schließlich den äußersten Zipfel des Eilands erreicht hatte. Hier abseits der Touristenströme war es angenehm ruhig, nur das Pochen eines Buntspechts und der Wind in den Bäumen waren zu hören. Rotes und gelbes Laub bedeckte den Waldboden wie ein weicher Teppich.
Um eine mächtige Buche herum hatte jemand eine überdachte Holzbank genagelt, von der aus man einen wundervollen Blick über den Chiemsee und die dahinterliegenden Alpen hatte. Steven nahm auf der Bank Platz und versuchte sich vorzustellen, wie Ludwig hier gesessen und seinen romantischen Träumen nachgehangen hatte. Ein Ritter ohne Gefolge, umgeben von intriganten Ministern und Menschen, die ihn für verrückt hielten. Ein König, der aus einer vergangenen Epoche herausgerissen schien, geboren in eine Moderne, die er nicht verstand und die ihn nicht verstehen wollte.
Neugierig zog der Antiquar das Tagebuch hervor und machte sich daran, weiter zu übersetzen. Mittlerweile hatte er sich an den merkwürdigen Schwindel gewöhnt, der ihn anfangs beim Lesen jedes Mal überkam. Er war in der Kurzschrift so geübt, dass er die Wörter fast wie in normaler Schrift lesen konnte. Bis auf die seltsamen Buchstabenfolgen, die jetzt tatsächlich immer kürzer wurden.
Es dauerte nur wenige Zeilen, bis er wieder versunken war in die Welt eines langsam verblassenden, angenehm entrückten Jahrhunderts.
18
IDT
D ie folgenden Tage in Linderhof vergingen wie im Traum.
Gleich nach meiner verhängnisvollen Begegnung mit dem König setzte ich eine Depesche an Graf Dürckheim auf, in der ich ihm von meinen Erlebnissen berichtete. Da ich zu Recht befürchtete, dass den meisten von Ludwigs Dienern nicht mehr zu trauen war, bezahlte ich selbst einen Kurier aus Ettal, der mir versprach, den versiegelten Brief binnen eines Tages nach Berg zu bringen. Ich wusste, dass sich der Graf und auch Dr. Schleiß von Loewenfeld im dortigen Schloss des Königs aufhielten, wo sie auf dessen Rückkehr warteten. Ich selbst wollte in den nächsten Wochen mit Ludwigs Tross ebenfalls nach Berg reisen. Bis dahin hoffte ich, noch einmal mit ihm über die Pläne der Minister sprechen zu können. Doch mein größter Wunsch war, Maria so oft wie möglich zu sehen.
Maria …
Seit unserer ersten Begegnung an der Linde ließ mich dieses Mädchen nicht mehr los, ständig musste ich an sie denken. Es war, als würden ihr glockenhelles Lachen und ihre klugen fröhlichen Augen nicht nur den König, sondern auch mich von der trüben Stimmung befreien, die in diesen Tagen wie eine giftige Wolke über Linderhof lag. Also lauerte ich ihr vor dem Dienstboteneingang auf, half ihr, die Körbe mit frischen Eiern in die Küche zu tragen, oder schnitzte dem kleinen Leopold Pfeifen aus Weidenholz, alles nur, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. Maria lachte viel und zwinkerte mir zu, trotzdem war sie stets von einer merkwürdig dunklen Aura umgeben, die ich nicht durchdringen konnte. Mitten im Spiel mit mir und ihrem Sohn bekam ihr Blick plötzlich etwas Leeres und gleichzeitig unendlich Trauriges.
In den nächsten Wochen häuften sich unsere Begegnungen, und Maria ging auch das eine oder andere Mal ohne Leopold mit mir an dem kleinen Flüsschen Linder spazieren, wobei sie ihre Hand jedoch stets wegzog, sobald ich sie länger halten wollte.
»Was denkt der Herr, wen er vor sich hat?«, sagte sie einmal kokett und hob mit gespielter Strenge den Finger. »Ich bin eine Dienstmagd des Königs und als solche nur Seiner Exzellenz versprochen.« Dann lächelte sie. »Außerdem passt du doch gar nicht zu mir. Ein studierter Arzt und die Tochter eines Holzschnitzers, das gehört sich nicht.«
»Ich lerne gerne das Handwerk des Holzschnitzens, wenn ich dir dadurch näherkomme.«
Maria kicherte.
Weitere Kostenlose Bücher