Die Ludwig-Verschwörung
mich, Herr Lukas«, sagte Sara und betrachtete erstaunt die Lokomotive. »Wir haben nicht gerade zufällig eine Zeitreise gemacht und befinden uns in Marots Tagebuch?«
»Der Schaufelraddampfer ist aus dem Jahr 1926, und die Dampflokomotive hatte ihre Jugfernfahrt kurz nach Ludwigs Tod«, mischte sich Albert Zöller von hinten ein. »Insofern haben Sie recht, Frau Lengfeld. Die Menschen hier lieben es, wenn sich die Welt so wenig wie möglich verändert. Und die Touristen lieben es auch.« Er deutete seufzend auf die Mole, wo Steven erst jetzt die lärmende Traube von Touristen bemerkte, die auf die nächste Dampferfahrt wartete. Sie schienen aus allen Teilen der Welt zu stammen und hatten ihre helle Freude daran, Lokomotive, Dampfer und netzflickende Fischer in allen möglichen Posen zu fotografieren.
»Nun gut, ich werd sehen, was sich machen lässt«, knurrte Onkel Lu. Er hievte schnaufend den Waschkorb mit den Büchern aus dem Wagen und schritt kommentarlos auf die etwas heruntergekommenen Bootshäuser zu ihrer Rechten zu. Sara und Steven folgten in einigem Abstand.
»Wissen Sie, was er vorhat?«, fragte der Antiquar.
Sara zuckte mit den Schultern. »Vielleicht sucht er nach einer anderen Möglichkeit, auf die Insel zu kommen. Das kann uns nur recht sein. Sehen Sie den grünen Bentley da drüben?«
Steven drehte sich um und erblickte ein auf Hochglanz poliertes, elegantes Fahrzeug, das mit laufendem Motor und abgedunkelten Scheiben ein wenig versteckt hinter der Lokomotive parkte. »Was ist damit?«
»Ich kann mich täuschen, aber ich glaube, dieser Wagen ist uns gefolgt«, flüsterte Sara. »Ich hab ihn mindestens zweimal in den letzten Stunden hinter uns gesehen. Und jetzt steht er hier am Hafen.«
»O Gott! Glauben Sie, das ist die Polizei?«
Die Kunstdetektivin zuckte mit den Schultern. »Ich wüsste nicht, wie die uns gefunden haben sollten. Und außerdem fährt die Polizei wohl auch in Zivil keinen grünen Bentley. Auch wenn sie’s wahrscheinlich gerne täte.«
Noch einmal sah Steven zu dem Wagen hinüber, der hinter der Dampf spuckenden Lokomotive nur undeutlich zu erkennen war. Nun gab der Fahrer Gas, und der Bentley verschwand mit quietschenden Reifen in einer schmalen Gasse, die hinauf in den Ort führte
»Auf alle Fälle sollten wir Albert Zöller nichts davon sagen«, sagte Steven leise. »Es reicht schon, wenn wir uns Sorgen machen.«
Mittlerweile hatten sie die Bootshäuser erreicht. Auf einem brüchigen Steg hockte ein drahtiger Mann mit faltigem wettergegerbten Gesicht und ließ die Beine über die Planken baumeln. Er trug grünes Ölzeug und kaute mürrisch auf einer Pfeife herum; unter ihm dümpelte ein morscher Kahn im Wasser, der dringend einen frischen Anstrich gebraucht hätte. Als Onkel Lu sich dem Fischer näherte, blickte dieser kurz hoch und stieß dann einen Laut der Überraschung aus. Lautstark spuckte er ins Wasser.
»Ja, verreck! Der Lu!«, krähte er fröhlich. »Kurz hab ich dacht, der Kini kommt zurück auf sei’ Insel.« Der Fischer erhob sich und kam mit ausgebreiteten Armen auf Albert Zöller zu.
»Red keinen Schmarren, Alois«, brummte Onkel Lu. »So dick wie ich war der König nicht mal auf dem Seziertisch.« Er wuchtete den Bücherkorb auf den Steg, dann gab er Alois die Hand. »Aber danke fürs Kompliment. Wie schaut’s aus? Magst uns einen Gefallen tun und uns drei schnell zur Herreninsel rüberfahren?«
Alois legte den Kopf schräg und musterte abfällig Zöllers Begleitung. »Sind des Touristen oder Freunde von dir? Ich hab von Ausländern nämlich gehörig die Schnauzn voll. Von denen gibt’s hier mehr als Renken im Chiemsee.«
»Es sind Leute, die auf unserer Seite stehen, Alois«, erwiderte Zöller mit ernster Miene. »Der König braucht unsere Hilfe.«
Der Fischer zog erstaunt die Augenbrauen nach oben. »Der Kini? Des ist natürlich was anderes.«
Schweigend half der kleine Mann Sara und Steven in seinen altersschwachen Kahn. Es folgten der zentnerschwere Waschkorb und ein noch schwererer Onkel Lu, wodurch das Boot gefährlich in Seitenlage geriet.
»Rutsch lieber in die Mitt’n, Lu«, sagte Alois und stieß sich mit den Rudern vom Steg ab. »Sonst säufst am Ende ab wie unser Ludwig, und des wär doch jammerschad.«
Zöller schob sich grinsend in die Mitte der Bank, dann wandte er sich Sara und Steven zu.
»Von den einfachen Leuten im Chiemgau stehen viele noch auf der Seite des Königs«, flüsterte er leise. »Alois wird uns nicht
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