Die Ludwig-Verschwörung
Graffiti und Hundescheiße umgeben bis, dann wirkt so ein Gemälde von Caravaggio wie ein warmer Regen.«
»Ist dein Vater denn Maler?«, wollte Steven wissen.
Diesmal klang Saras Lachen eine Spur zu schrill. » Maler? Ich glaube, er wäre gerne einer geworden. Bis heute ist er süchtig nach Kunst. Meine Mutter hatte den Alkohol und mein Vater die Kunst, beide sind damit nicht unbedingt glücklich geworden.« Sie stand abrupt auf und griff in einen Haufen bunter Blätter, die sie nun auf Steven herabregnen ließ.
»Wenn du auf die berühmte einsame Insel ziehen würdest«, fragte sie ihn plötzlich, »welche drei Bücher würdest du mitnehmen?«
Steven wischte sich lachend die Blätter von der Stirn. »Nur drei Bücher? Das wird schwer. Lass mich nachdenken.« Er machte eine Pause, schließlich fuhr er fort: »Thomas Manns ›Zauberberg‹, auch wenn ich ihn schon dreimal gelesen habe. Robert Musils Tausend-Seiten-Epos ›Mann ohne Eigenschaften‹, da hat man wenigstens was davon, und …« Er brach ab, sein Blick wurde mit einem Mal düster.
»Du würdest Marots Tagebuch mitnehmen, nicht wahr?«, flüsterte Sara. »Das Buch lässt dich nicht los.«
Steven schwieg lange, dann nickte er zögerlich. »Irgendetwas ist damit. Es ist wie ein böser Zauber, wie ein Fluch. Ich fürchte, ich bin erst erlöst, wenn ich dieses Tagebuch bis zum Ende gelesen habe. Manchmal glaube ich …«
Das langgezogene Tuten eines Fährschiffs holte sie zurück in die Wirklichkeit. Erschrocken sah Sara auf die Uhr.
»Verflucht, schon vier Uhr nachmittags!«, sagte sie und klopfte sich die Blätter vom Kleid. »Ich schlage vor, du kümmerst dich jetzt weiter um deinen Fluch. Bis heute Abend solltest du die Passage über Herrenchiemsee übersetzt haben, damit wir weiterkommen. Onkel Lu organisiert in der Zwischenzeit eine Einzelführung für uns.«
»Und du?«, fragte Steven, dem es sichtlich schwerfiel, ihre heile Welt im Buchenwald zu verlassen. »Was hast du vor?«
»Ich schau mich noch ein bisschen auf der Insel um.« Sie küsste ihn ein letztes Mal sanft auf den Mund und wandte sich dann zum Gehen. »Du willst doch nicht, dass ich dir beim Übersetzen das Händchen halte, oder? Wir treffen uns um sechs Uhr abends am Schloss. Pass auf dich auf!«
Mit einem letzten Winken verschwand sie zwischen den Bäumen, und Steven blieb allein zurück. Zerstreut fuhr er sich durch die Haare. Er war eindeutig verliebt, ein Kribbeln breitete sich von seinem Bauch bis hin zu den Zehenspitzen aus. Doch ob Sara genauso fühlte, konnte er nicht sagen. Steven musste plötzlich an Maria und Theodor denken. Auch Marot konnte sich nicht sicher sein, ob die junge Dienstmagd mehr als nur Freundschaft für ihn empfand. Warum waren Frauen nur immer so kompliziert!
Der Gedanke an den medizinischen Assistenten erinnerte Steven an das verfluchte Tagebuch. Noch immer verwirrt und wie auf Wolken schwebend, setzte er sich auf die Bank unter der Buche und begann weiter in den Erinnerungen dieses längst verstorbenen Mannes zu lesen, der sich mehr und mehr in einen fernen Verbündeten verwandelte. In einen Gefährten, der mit ihm über die Zeiten hinweg an dieses Buch gefesselt war. Mittlerweile hatte er aufgehört, die Übersetzung der Kurzschrift in sein Notizbuch zu übertragen. Die Einträge fesselten ihn zu sehr, als dass er Zeit für eine Abschrift gehabt hätte.
Beinahe glaubte Steven, Theodor Marot zwischen den Seiten sprechen zu hören, das Wispern der Buchenblätter über ihm klang wie das Flüstern der Verschwörer, und ihm war, als würde der König selbst aus dem Einband hervortreten und ihm liebevoll zuwinken.
Nach wenigen Zeilen war der Antiquar zurück im 19. Jahrhundert.
20
WFIFBTQT, GQT, IDT
Ü ber Starnberg und München fuhren wir mit der Eisenbahn an den Chiemsee. Ludwig und ich saßen ganz vorne, in einem königlichen Waggon, dessen Einrichtung seinen Schlössern in nichts nachstand. Es war, als schaukelten wir in einem goldenen Salon durch Bayern. Schnaubend wie ein Drache aus der Sagenwelt schob sich die Lokomotive vorbei an Wiesen und Feldern, wo vereinzelt Bauern standen und uns mit ihren Hüten zuwinkten. Doch der König blickte kein einziges Mal aus dem Fenster.
Sehnsüchtig erinnerte ich mich an die kurze Zeit vor den zwei großen Kriegen gegen Preußen und später gegen Frankreich. Damals war Ludwig noch an die Öffentlichkeit gegangen, die Leute hatten ihn, den großgewachsenen gutaussehenden Jüngling, hochleben lassen.
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