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Die Ludwig-Verschwörung

Die Ludwig-Verschwörung

Titel: Die Ludwig-Verschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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Doch in den letzten Jahren hatte der König sich von seinem Volk abgewandt. Mit einem merkwürdig storchenartigen Schritt, den er offenbar für majestätisch hielt, stakste er gelegentlich die Reihen der greisen Würdenträger und jungen Offiziere ab, ansonsten blieb er allein, umgeben nur von seinen engsten Vertrauten. Ein selbst gewähltes inneres Exil, das er höchstens für den von ihm abgöttisch verehrten und vor zwei Jahren verstorbenen Freund Richard Wagner verlassen hatte.
    Stumm und mit geschlossenen Augen kauerte er in seinem Abteil, und so beschloss ich schließlich, einige Waggons weiter nach hinten zu gehen, wo ich Maria mit einigen Dienern traf. Die laute Fröhlichkeit hier machte die Stille im Séparée des Königs nur um so unheimlicher.
    »Wenn du den König so gut kennst«, sagte ich und ließ mich neben sie auf die hölzerne Bank fallen, »dann verrate mir doch, was Ludwig umtreibt. Er wirkt wie aus einer anderen Welt.«
    Maria lächelte und blickte hinaus auf die Landschaft, die an uns vorüberzog. »Er ist von einer anderen Welt«, erwiderte sie. »Er kommt aus einer Zeit weit vor der unseren. Im Grunde ist er ein Bub, der sein eigenes Theaterstück spielt. Mit Rittern, Burgen und bösen Zwergen. Das sind die Minister für ihn, böse Zwerge!« Sie lachte und deutete auf ein paar Lakaien in unserem Abteil, die mit offenen Mündern an den Fenstern standen und ihre Köpfe in den Wind hielten. »Wir rasen mit eisernen Pferden durch die Welt, bauen Maschinen und Fabriken. Doch Ludwig bleibt stehen und lässt das alles an sich vorüberrauschen. Er ist wie ein König aus einem dieser Märchen von den Brüdern Grimm. Manchmal liest er mir daraus vor, dann bin ich Schneeweißchen und er der Prinz, den ein Fluch in einen zottigen Bären verwandelt hat.«
    »Prinz? Bär?« Ich schüttelte verstört den Kopf. »Maria, der König ist kein Kind mehr! Er muss ein Land regieren …«
    »Ein Land, das nicht mehr träumt!«, unterbrach mich Maria. »Verstehst du denn nicht, Theodor? Ludwig träumt für uns, weil wir das verlernt haben. Für ihn ist ein König nicht nur jemand, der Akten unterschreibt und Heere verschiebt, sondern ein Traum, eine Idee.«
    »Eine Idee?«, fragte ich skeptisch. »Hat er dir das erzählt? Bringt er dir so etwas bei?«
    »Jedenfalls behandelt er mich nicht wie eine dumme Holzschnitzertochter, so wie du das tust.«
    Maria schwieg und starrte aus dem Fenster.
    Seufzend beschloss ich, das Gespräch nicht weiter fortzusetzen. Nach einer Weile ging ich wieder nach vorne zum König, der noch immer mit geschlossenen Augen auf seiner Bank saß. Er sah aus wie ein Denkmal seiner selbst.
    Am Abend erreichten wir Prien am Chiemsee, von wo aus wir mit einem Schiff nach Herrenchiemsee übersetzten. Während Maria mit dem anderen Dienstpersonal auf einem rumpelnden Wagen zum Schloss fuhr, blieb ich mit Ludwig noch am kleinen Hafen der Insel stehen.
    Schnell bemerkte ich, dass die Bauarbeiten noch nicht weit vorangeschritten waren. Eine kleine Lok zog unter lautem Zischen und Krachen einige Loren mit Steinen und Bauholz hinauf zum Schloss. Doch selbst vom Ufer aus war zu erkennen, dass das Gebäude zu großen Teilen noch nicht fertig war. Die Seitenflügel wirkten als Rohbau merkwürdig nackt, die künftige Allee war nichts weiter als eine schmutzige Transportstraße. Auf der Westseite des Schlosses hämmerten und feilten die Handwerker noch an den Brunnenbassins, auch der Kanal war nur zur Hälfte ausgehoben. Trotzdem ahnte man bereits jetzt jenes Schloss, mit dem Ludwig sein größtes Vorbild, den Sonnenkönig, ehren wollte: ein bayerisches Versailles.
    »Die Sonne geht genau hier auf und dort drüben, auf der anderen Seite der Insel, unter!« Ludwig, der mittlerweile wieder in bester Stimmung war und wie ein aufgeregtes Kind zwischen den Arbeitern umhersprang, deutete auf eine imaginäre Achse, die von der Allee bis zum Kanal führte. »Genau dazwischen liegt das Schloss!«, rief er mir lachend zu. »Ich kann vom meinem Schlafzimmer aus den Himmelswagen auf- und absteigen sehen. Ist das nicht wunderbar, Marot? Mon Dieu!«
    Mit einem Mal veränderte sich Ludwigs Gesichtsausdruck. Herrisch winkte er einen Bauaufseher in schwarzem Rock zu sich heran. »Heda! Was ist mit diesen mythologischen Figuren dort am Fortunabrunnen? Der Triton hält die Hand nach oben. Habe ich nicht deutlich Anweisungen gegeben, dass er sie nach unten halten soll, genauso wie in Versailles?«
    Der ängstliche Mann machte

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