Die Lüge im Bett
kniet sie mit Nic vor dem Backofen und versucht, die Zeichen zu deuten.
»Hast du keine Gebrauchsanweisung für den Herd?«
»Möglich ...«, er grinst und zuckt mit den Schultern. Dieses Lächeln, dieses Gesicht, dieser Mann! Am liebsten hätte sie ihn angefallen. Hier auf der Stelle! Das gleiche Verlangen wie damals, völlig unpassend, nach dem Überfall im Bus. Rio! Es ist schon so lange her! Fast, als sei es nie gewesen!
Nina liest die Anleitung zu den vorbereiteten Speisen. Nun, das kapiert sogar sie. Das Kartoffelgratin und der Braten müssen noch mal zehn Minuten bei 200 Grad erhitzt werden. Bei Heißluftöfen nur 180 Grad.
»Heizt der mit Heißluft?« fragt sie Nic, der noch immer wie hypnotisiert vor seinem Backofen hockt, als sähe er eine Live-Übertragung der Filmfestspiele in Cannes.
»Heißluft?« Er schaut sie ratlos an.
»Männer und Technik!« Nina kann es kaum glauben.
Nic lacht und stößt seinen Kopf leicht gegen ihren.
Nic Naumann, ich will jetzt, daß du hier alle rauswirfst und nur mit mir feierst! Hat sie als Kind nicht geglaubt, sie verfüge über Zauberkräfte? Und kann sie nicht, wenn sie noch nicht aufstehen will, den Wecker zum Klingeln und das Telefon zum Läuten bringen? Sie kann. Immer, wenn sie es nicht will, klappt's!
Soll sie jetzt Nic nicht wollen? Wird er ihr dann vielleicht doch verfallen und die Beziehung zu Gabriel lösen?
Nic steht abrupt auf. Nina erschrickt. Wo will er hin? Am liebsten hätte sie ihn sofort wieder zu sich nach unten gezogen.
»Ich sehe schon, du hast das voll im Griff«, befindet er ihr mit einer leichten Kopfbewegung.
Klar, wer eine Vagina sein eigen nennt, ist dafür prädestiniert, alles im Griff zu haben, denkt sie und schaltet den Backofen auf 200 Grad.
Es klingelt wieder. Diesmal ist es das Telefon. Gabriel winkt ihr wieder. Sie? Sie hat ihrer Mutter die Nummer für Notfälle hinterlassen. Notfälle!
Schnell steht sie auf und will hinauslaufen, aber Gabriel bringt bereits das Handgerät.
»Mutti? Ist was passiert?«
Ihre Mutter berichtet ihr aufgeregt, daß soeben Sven angerufen habe, um der Familie Wessel frohe Weihnachten zu wünschen. Dummerweise sei Vater am Apparat gewesen, der ihm, von Mann zu Mann natürlich, gleich berichtet habe, daß Nina überhaupt nicht zu Hause sei.
»Und deswegen rufst du an, Mutti? Das ist doch völlig egal! Sven und ich sind getrennt!«
Ein Adrenalinstoß durchfährt Ninas Körper. Sie sieht, wie Nic Gabriel im Vorbeigehen einen zärtlichen Kuß aufdrückt. Und sie dumme Kuh hat in Suzanna eine Konkurrenz gesehen! Sie war zu blöd!
»Ist bei dir denn alles in Ordnung, Nina? Bist du jetzt glücklich?« hört sie ihre Mutter aus dem Hörer sagen.
Und das zu Weihnachten! Am liebsten hätte sie mit einem »Ach, Mutti!« losgeheult, aber sie kratzt das letzte bißchen Selbstbeherrschung, das sie noch hat, zusammen: »Es ist wunderbar, Mutti, danke. Und mach dir wegen mir keine Gedanken. Ich komme schon zurecht!«
»Zurecht?«
Mütter!
Nic schaut um die Ecke. Das fehlt ihr noch! Was soll sie ihrer Mutter bloß über Nic erzählen, wenn er dabei zuhört? Er streckt ihr ein Glas Champagner entgegen und sieht sie fragend an.
»Ja, Mutti, eben kommt Nic mit einem Glas Champagner, es ist alles bestens, ich rufe dich morgen an!«
Nach der furiosen Liebesnacht, wird ihre Mutter jetzt denken. Soll sie doch! Was nicht ist, wird noch werden.
Nach und nach füllt sich die Küche. Jeder will sehen, jeder will anpacken. Die Vorspeisen werden flugs verteilt, beim Braten greifen alle kräftig zu, und auch das Tiramisu findet noch begeisterte und hungrige Abnehmer. Zum Abschluß setzt Nina noch einen Kaffee auf und beginnt allmählich, sich einigermaßen zu entspannen und sich an die ungewohnte Situation zu gewöhnen. Aber eigentlich kann sie es immer noch nicht glauben. Gabriel sitzt ihr schräg gegenüber, und sie mustert ihn heimlich. Er lacht lauthals über irgendwas und entblößt dabei eine Reihe ebenmäßiger, schneeweißer Zähne. Er sieht einfach zu gut aus, denkt Nina, es ist zum Verrücktwerden! Als hätte Gabriel ihre Blicke gespürt, lächelt er ihr jetzt zu, sie lächelt zurück und fühlt sich dabei wie eine Schlange. Am liebsten hätte sie ihm direkt in seinen schlanken, sehnigen Hals gebissen.
Dann, nach dem Kaffee und dem Grappa, merkt sie, daß sich die Stimmung ändert. Bisher war Nina voll integriert, in jedes Gespräch mit einbezogen gewesen, jetzt beschleicht sie das leise Gefühl, daß sie
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