Die Lüge
bisschen Deutsch sprach. Und mit etwas Glück wusste sie, ob die Tochter sich derzeit bei ihrer Jugendliebe aufhielt. Sekunden später war die Frau mit dem fragenden «Oui», in der Leitung.
«Guten Tag», sagte sie stark akzentuiert. «Parlez-vous allemand?»
«Ja», sagte die Frau.
«Spreche ich mit Nadia Trenklers Mutter?»
«Ja», sagte die Frau noch einmal.
Sie atmete erleichtert auf, den gestelzten Ton behielt sie bei. «Hier spricht Helga Barthel von Alfo Investment. Ich muss dringend mit Nadia sprechen. Sie ist am Donnerstag nach Genf geflogen, und …» An der Stelle wurde sie unterbrochen.
Nadias Mutter wusste nichts von einem Aufenthalt in Genf und wollte ihrerseits wissen, was Alfo Investment war. Die entsprechende Auskunft schien ihr ganz und gar nicht zu gefallen. Sie legte kommentarlos auf. Sofortiges Neuwählen brachte nichts, abgehoben wurde nicht mehr.
Sie holte den Zettel aus dem Kofferraum und machte einen Versuch mit Jacques’ Handynummer. Viel Hoffnung, sich mit ihm verständigen zu können, hatte sie nicht, aber wenn es Anfang des Jahres durch den Beckmann zu einer Versöhnung gekommen und Nadia nun bei ihm war, reichte es wohl, nach ihr zu fragen. Doch offenbar existierte der Anschluss nicht mehr.
Seltsamerweise wurde sie danach etwas ruhiger, überdachte noch einmal die jüngsten Ereignisse und Informationen.Dass sie bei Alfo Investment als Möbelfirma rangierte, musste noch nichts bedeuten. Hardenberg hatte seiner langjährigen Lebensgefährtin kaum erklären können, was, vielmehr wer Lasko tatsächlich war. Er konnte trotzdem am Donnerstag bei Behringer eine schöne, helle Wohnung am Stadtrand gemietet haben. Natürlich hatte er das Helga nicht auf die Nase binden können. Vielleicht war der gute Philipp am Freitagabend wirklich nur am Flughafen gestürzt und hatte Helga bloß zu ihrer Schwester schicken wollen, damit sie nicht das ganze Wochenende alleine war. Wenn sie Tabletten brauchte, war sie vermutlich krank. Und dass Nadia nicht anrief, um ihr noch einmal klar verständlich Bescheid zu sagen, wann sie zurückkam – nun, Nadia konnte nicht wissen, dass Michael in München war.
Vielleicht gönnte Nadia sich im Bewusstsein, ihre Vertretung mit dem großzügigen Angebot zu Höchstleistungen motiviert zu haben, nur ein verlängertes Wochenende mit Philipp Hardenberg in Berlin – wo sie beide nicht Gefahr liefen, von Zurkeulen belästigt zu werden. Nadias letzte Beschwörungen am Flughafen und die ersten, noch einigermaßen verständlichen Sätze bei dem zerhackten Anruf am Freitag hatten Michaels Ahnungslosigkeit gegolten. Wenn Nadia sich mit ihrem Liebhaber und Zurkeulens Geld abgesetzt hätte, wozu hätte es sie da noch kümmern sollen, ob Michael merkte, dass er nur ein Double im Bett hatte? Auch Wolfgang Blastings widerliche Bemerkung vom Hengst sprach dafür, dass Nadia ihre Ehe sehr wichtig war. Abgesehen davon, gab man für zweihunderttausend Euro ein Haus auf, das laut Kaufvertrag eins Komma fünf Millionen Mark gekostet hatte? Wahrscheinlich nicht.
Sie beschloss, sich vorerst nicht selbst verrückt zu machen. Abwarten! Wenigstens bis Montag. Den Montag konnte sie sich leisten, da hatte sie frei. Bis dahin erlaubte ihr MichaelsAbwesenheit, sich zu teilen zwischen zwei Leben. Und zu Susanne Lasko gehörte der Besuch bei ihrer Mutter.
Sie machte sich zurecht, kippte den Tomatensaft mit Ei in den Ausguss. Das Glas füllte sie aus der Dose auf und würzte mit viel Salz und Pfeffer. Es belebte den Kreislauf. Kurz vor eins stieg sie in den Alfa, hatte sich weder um Ordnung in der Küche noch die Alarmanlage gekümmert, ließ das Garagentor hochfahren – und ersparte sich den Druck aufs Gaspedal.
Quer in der Einfahrt stand der Jaguar. Michael musste ziemlich rangiert haben, um beide Fahrspuren zu blockieren. Im Auto saß er nicht. Sie drückte so lange auf die Hupe, bis er endlich in Koglers Haustür erschien – zusammen mit Jo, der hinter seinem Rücken verstohlen Zeichen der Zuversicht gab, während Michael in lässigem Schlendergang auf sie zukam.
Sie ließ die Seitenscheibe herab, als er den Alfa erreichte und sich zu ihr hinunterbeugte. «Hallöchen», grüßte er salopp. «Dir scheint’s ja wieder blendend zu gehen. Da bin ich wohl gerade noch rechtzeitig gekommen. Kleiner Ausflug gefällig? Oder soll es ein längerer werden?» Er betrachtete sie mit einem Blick, von dem sie nicht sagen konnte, ob er böse, gelangweilt, müde, spöttisch oder sonst etwas
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