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Die Lüge

Die Lüge

Titel: Die Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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der letzte Beweis. Sie hatte ihn aus dem Haus haben wollen, um ungestört verschwinden zu können.
    Er schwankte zwischen Verbitterung und Sarkasmus, vermutete, das abgewetzte Kunstledermäppchen gehöre zu ihrem neuen Domizil. Offenbar hatte Nadia von dem Notar in Nassau ein ähnlich schäbiges Ding ausgehändigt bekommen, um das Ferienhaus zu besichtigen. Michael ging davon aus, siehabe im Verlauf des Samstags die Grundausstattung für die elegante Dame bereits aus dem Haus geschafft. Größere Mengen Gepäck konnte man ja aufgeben, ehe man selbst flog. Und mehr als «Du irrst dich» konnte sie nicht dagegenhalten.
    Endlich stellte er den Jaguar auf einem Parkplatz am Rand einer Fußgängerzone ab. Carlo entpuppte sich als ein italienisches Restaurant, in dem reger Betrieb herrschte. Offenbar waren sowohl das Bedienungspersonal als auch einige der anwesenden Gäste mit Michael gut bekannt. Ob das auch für Nadia galt, war nicht festzustellen. Ein Kellner grüßte mit einem devoten «Gnädige Frau, Herr Doktor» und führte sie zu einem Tisch, an dem bereits ein älterer Mann saß.
    Er mochte Ende fünfzig sein, hatte dichtes weißes Haar und einen ebensolchen, sauber gestutzten Vollbart. Groß und von kräftiger Statur, machte er selbst im Sitzen einen imposanten Eindruck, schaute überrascht und – wie es schien – auch erfreut von seinem fast leeren Teller auf.
    «Ist es recht so?», erkundigte sich der Kellner.
    Michael und der Weißhaarige nickten gleichzeitig, wobei Michael ein wenig verlegen wirkte. «Ich hatte nicht damit gerechnet, Sie hier anzutreffen, Herr Professor.»
    Der Professor erhob sich, rückte galant einen Stuhl für sie zurecht. Gleichzeitig schallte von einer achtköpfigen Gruppe um einen großen runden Tisch in einer Ecke lautes Hallo herüber, zwei Arme wurden winkend erhoben.
    «Entschuldigen Sie mich», bat Michael. «Ich sag nur mal rasch guten Tag.» Dann ließ er sie mit dem Fremden allein.
     
    Der Professor lächelte sie freundlich an. Sie lächelte freundlich zurück. Der Kellner ließ sich nicht mehr blicken. Michael plauderte im Hintergrund mit den Leuten am runden Tisch. Von rasch konnte kaum die Rede sein. Sein besonderes Augenmerk galt einer jungen Frau mit unnatürlich rot gefärbtenHaaren, die sich mehrfach zu ihr umdrehte und dabei anfangs einen verkniffenen, später einen triumphierenden Eindruck machte.
    «Ich hörte, dass Niedenhoff in Kürze ein Konzert in der Beethovenhalle gibt», sagte der Professor unvermittelt.
    «Das habe ich auch gehört», stimmte sie zu, lächelte weiter und hatte das Gefühl, ihre Wangen seien bereits eingeschlafen.
    «Ob wohl die Möglichkeit besteht, noch Karten zu bekommen?»
    Woher hätte sie das wissen sollen? Sie wusste nur, dass zwei Karten auf dem Flügel im Wohnzimmer lagen – mit einem lieben Gruß von Frederik. Sie konnte den Blick nicht von Michael und der jungen Frau lassen. Beide schienen sehr vertraut miteinander. Eine Kollegin aus dem Labor? Wie sie ihn anhimmelte! Und die Blicke in ihre Richtung! Vielleicht die Labormaus?
    Der Professor bemerkte, dass sie unentwegt zu dem runden Tisch hinschaute. Er räusperte sich verhalten. «Frau Palewi wird uns in Kürze verlassen.» Wenn er meinte, ihr mit seinem dezenten Hinweis in irgendeiner Weise zu helfen, irrte er sich.
    «Ob das noch etwas ändert, bezweifele ich», sagte sie. «Mein Mann hat in unserer Nachbarschaft ein übles Gerücht gehört.» Sie erzählte ein wenig von Jos Gewinn mit dem Deko-Fonds, von Ilonas Neid, Wolfgangs zweifelhaften Recherchen und ihrem Vorhaben, ein kleines Ferienhaus zu kaufen, um Michael eine Freude zu machen. Nur dachte er jetzt anders darüber, nachdem er das Geschwätz der Nachbarn gehört hatte.
    Der Professor lauschte aufmerksam und antwortete zustimmend. Er hielt Neid für eine gefährliche Volkskrankheit und hätte keine Einwände gegen ein kleines Ferienhaus erhoben.Michael legte der Palewi demonstrativ eine Hand auf die Schulter, stand so tief gebeugt, dass er fast ihre Wange berührte. Er flirtete ungeniert. Vorübergehend vergaß sie ihre Mutter, die sich bestimmt schon Sorgen machte, die Ungewissheit über Nadias Verbleib und dass sie am Tisch eines Mannes saß, von dem sie nicht mehr wusste, als dass er Professor war und Karten für das Niedenhoff-Konzert haben wollte.
    Mit Blick auf Michaels gebeugten Rücken sagte sie: «So wie es aussieht, kann ich beruhigt meine Koffer packen. Meine Nachfolgerin scheint bereits ausgewählt zu sein.

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