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Die Lüge

Die Lüge

Titel: Die Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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wirklich, dafür wog das Kind, das sie umbringen lassen musste, viel zu schwer.
    Kurz darauf verließ sie das Haus. Auf der Autobahnherrschte dichter Verkehr. Den Alfa wollte sie abends am Flughafen abstellen und mit dem Bus zurückfahren. Da sie viel zu früh aufgebrochen war, reichte die Zeit für einen Abstecher zu ihrer Wohnung. Nur die Brieftasche mit den eigenen Ausweispapieren holen, ihre Zahnbürste ins Bad legen und frische Sachen anziehen, mehr wollte sie nicht.
    Es gab wie üblich keinen Parkplatz in der Kettlerstraße. Sie stellte den Wagen bei der Telefonzelle ab und lief zurück. Es war halb acht. So frühmorgens hatte Heller nie im Fenster gehangen, trotzdem vermisste sie ihn irgendwie. Auch Jasmins Motorrad stand nicht vor dem Haus. Sie kam ungesehen hinein und hastete die Treppen hinauf. Im zweiten Stock bemerkte sie wieder die Aufkleber auf Hellers Tür, die sie samstags für einen Kinderstreich gehalten hatte. Es waren Polizeisiegel.
    Ihr war kalt. Langsam stieg sie weiter, den Schlüssel schon in der Hand. Sie erreichte ihre Wohnungstür, wollte den Schlüssel einstecken und sah das Siegel auf ihrem Türschloss, zusätzlich waren schwarz-gelb gestreifte Bänder auf Tür und Rahmen geklebt und verdeckten notdürftig die Beschädigungen – nur ein paar Kerben im Holz, als hätte jemand einen Hebel angesetzt.
    Sie starrte die Tür und das Siegel an, konnte weder denken noch verhindern, dass ihre Finger sich selbständig machten und automatisch zu kratzen begannen. Die schwarz-gelb gestreiften Bänder lösten sich. Eine Hand legte sich an die Tür und drückte dagegen. Es gab einen schnappenden Laut, als der verbogene Zapfen aus dem demolierten Schließblech sprang. Ohne Widerstand schwang die Tür nach innen auf und gab den Blick frei auf ein fürchterliches Chaos. Die Zimmertüren standen offen. Der Inhalt sämtlicher Schränke war über die Fußböden verstreut, Teller, Tassen und Gläser lagen zerbrochen zwischen Unmengen von Federn. Das Bett war völligauseinander genommen, Matratze, Couchpolster und Kissen zerschnitten.
    Sekundenlang fühlte sie nichts weiter als ihren Herzschlag, wagte es nicht, einen Fuß über die Türschwelle zu setzen, drehte sich um und stieg die Treppen wieder hinunter. So wie sie ins Haus gekommen war, kam sie auch zurück zum Alfa. Es waren ein paar Passanten auf der Straße, aber niemand beachtete sie. Ihre Rippen und die Kehle fühlten sich an wie eingeschnürt. Wie lange sie so im Wagen saß, unfähig, zu denken oder den Motor zu starten, wusste sie später nicht mehr.
    Irgendwann fuhr sie los und wusste nicht, wohin, hoffte nur, dort jemanden anzutreffen und ihn etwas fragen zu können. Irgendwann fand sie sich in der Tiefgarage des Gerler-Bürohauses wieder. Neben dem Alfa stand Philipp Hardenbergs Mercedes. Es war kurz vor elf. Sie stieg aus und ging wie in Trance zu den Aufzügen. Aus dem Spiegel der Kabine schaute ihr ein kalkweißes Gesicht mit dunklen Schatten unter den Augen entgegen. Sie nahm sich die Zeit, mit dem, was sie in der Handtasche bei sich trug, die Blässe zu überpudern und den Lippen etwas Farbe zu verleihen. Als sie den Lippenstift zurücksteckte, bemerkte sie das Lederetui mit dem Büroschlüssel, das Helga ihr donnerstags ausgehändigt hatte. Das ersparte ihr den Druck auf die Klingel.
    Der Vorraum war leer, die Tür zu Helgas Büro offen. Hinter dem Schreibtisch dort saß niemand. Auch die gepolsterte Tür zu Hardenbergs Büro war nicht fest geschlossen. Zu sehen war nichts von dem Mann, der sich in diesem Büro aufhielt. Zu verstehen war er ausgezeichnet. «Ich will Ihnen sagen, was mich stört: Nadia Trenkler.»
    Es klang höflich und nachdenklich, es klang wie eine Pistolenmündung an der Schläfe. Das war die Stimme von Markus Zurkeulen dort hinter der gepolsterten Tür, und diese Stimme fragte sich oder sonst wen, was Frau Lasko damit bezweckte,am vergangenen Mittwoch zu behaupten, sie sei nicht Nadia Trenkler, und am Samstagabend vehement darauf zu bestehen, sie sei es. Es musste doch mit Nadia Trenkler eine besondere Bewandtnis haben.
    «Ich weiß es nicht», ließ sich Hardenberg vernehmen. Er klang nicht höflich, nur atemlos. «Ich kenne keine Frau dieses Namens, das habe ich Ihnen am Mittwoch schon gesagt.»
    Ein paar Sekunden lang war es still hinter der Tür. Dann sprach wieder Zurkeulen – unverändert höflich und nachdenklich. «Ja, ja, das sagten Sie bereits. Wir trafen die Dame auch auf dem Weg zu Frau Laskos Wohnung.

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