Die Lüge
Allerdings hatte sie keine Schlüssel dabei und behauptete, Sie hätten Haus- und Wohnungsschlüssel in Verwahrung genommen.»
«Das ist doch Unsinn», protestierte Hardenberg. «Wozu sollte ich Schlüssel …»
«Das habe ich mich auch gefragt», schnitt Zurkeulen ihm das Wort ab. «Natürlich war ich bemüht, die Sache zu klären. Vis-à-vis erscheint ja vieles in einem anderen Licht. Die Dame nannte uns Ihre Adresse. Leider wurde uns nicht geöffnet.» Er sprach, als sei Nadia bei ihnen gewesen, als er und sein Begleiter am späten Samstagabend vor Helgas Tür aufgetaucht waren. Davon hatte Helga nichts gesagt.
«Ich war in Berlin.» Hardenberg klang, als unterdrücke er mit Mühe ein Würgen. «Wo ist Frau Lasko jetzt?»
«Das entzieht sich meiner Kenntnis», erklärte Zurkeulen. «Ramon hat sich noch längere Zeit mit der Dame unterhalten. Ramon, erinnerst du dich, wo du die Dame abgesetzt hast?»
Es blieb still hinter der Tür. Sie stand immer noch mitten im Vorraum, unfähig, sich zu bewegen. Nach ein paar Sekunden fragte Zurkeulen: «Was machen wir nun, Herr Hardenberg? Ich muss gestehen, ich hege gewisse Befürchtungen und habe bereits überlegt, ob es nicht sinnvoller wäre, wenn an meinerStelle Ramon auch diese Unterredung führt. Es wäre ihm gewiss ein Vergnügen. Nicht wahr, Ramon?»
Jemand lachte. Es war nicht Zurkeulen und gewiss nicht Hardenberg. Der stieß hektisch hervor: «Ich bitte Sie, Herr Zurkeulen. Es gibt überhaupt keinen Grund für Misstrauen. Die Summe in Ihrem Depot beläuft sich zurzeit auf knapp sechs Millionen. Von einem Verlust kann man nicht mehr sprechen.»
«Und ich kann darüber verfügen?»
«Natürlich, jederzeit, wenn Sie es wünschen, schon in den nächsten Tagen», versicherte Hardenberg eifrig.
«Gut», sagte Zurkeulen. «Ich wünsche es. Wir sehen uns am Freitag wieder, Herr Hardenberg. Und ich hoffe in Ihrem Interesse, dass es keine Probleme mit der Auszahlung gibt. Ansonsten müsste ich mich zu anderen Maßnahmen entschließen.»
Schritte kamen auf den Vorraum zu. Sie schaffte es gerade noch, in Helgas Büro zu verschwinden und hinter der offenen Tür in Deckung zu gehen. Zurkeulen und der gedrungen wirkende Mann durchquerten den Vorraum, Philipp Hardenberg folgte. Sie lugte durch den Spalt zwischen Tür und Wand. Der Gedrungene verschwand zuerst aus ihrem eingeengten Blickfeld. Dann verschwand auch Zurkeulen ohne ein weiteres Wort.
Philipp Hardenberg ging zurück in sein Büro. Die gepolsterte Tür blieb weit offen und machte es ihr unmöglich, ungesehen den Vorraum zu durchqueren. Sich bemerkbar zu machen, wagte sie nicht. Durch den schmalen Spalt fiel ihr Blick auf ein Stück vom Schreibtisch und die Rückseite eines großen Monitors. Was Hardenberg tat, war nur zu hören. Zuerst telefonierte er, erreichte bei den ersten Versuchen niemanden und fluchte mehrfach ungehalten auf ein elendes Biest – vermutlich auf Nadia.
Dann wurde seine Stimme liebevoll. Er sprach mit Pausen – offenbar mit Helga. «Ich bin’s, Liebchen. – Ja, natürlich bin ich wieder hier, die Maschine ist pünktlich gelandet. – Doch, ich war kurz daheim, ich wollte dich nur nicht wecken. Hat Nadia sich nochmal gemeldet? – Das verstehe ich nicht. – Nein, lieber nicht, du machst nur Trenkler rebellisch. Du weißt ja, wie …»
Er wurde wohl unterbrochen und lachte gekünstelt: «Ich verstehe das auch nicht. Aber so sind manche Männer, bilden sich ein, eine Frau wäre nur da, um sie zu bekochen, was willst du da machen?» Helgas Antwort fiel etwas länger aus. Er lachte wieder. «Nein, das ist wirklich nicht nötig, Liebchen. Hier ist im Moment gar nichts zu tun. Du schonst dich. – Ja, ich bin zeitig da. Bis später.» Es schmatzte, als schicke er einen Kuss durchs Telefon.
Länger als eine Stunde saß sie noch in Helgas Büro fest und verging fast vor Sorge, Hardenberg könne den Raum betreten. Nachdem er das Telefongespräch beendet hatte, arbeitete er am Computer. Danach ging er mit einigen Schriftstücken in der Hand zum Waschraum, verbrannte die Papiere im Waschbecken. Und endlich schloss sich die Tür des Vorraums hinter ihm, von außen drehte sich ein Schlüssel zweimal im Schloss. In selben Moment fiel ihr ein, dass der Alfa neben seinem Mercedes stand.
Sie verließ das Büro in panischer Eile. Die Aufzüge erschienen ihr zu riskant. Am Ende des Korridors gab es eine Tür mit dem Fluchtwegsymbol. Sie war nicht verschlossen, dahinter lag ein tristes
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