Die Lüge
Bildschirm malträtierte Carlos Santana seine Gitarre. Sie ertrug weder das Blut noch die Gitarrenklänge. Und erst recht nicht sein Schweigen und die starre Haltung.
«Ich liebe dich», flüsterte sie in den Lärm. «Es könnte alles gut werden, wenn ich nur einmal ganz offen mit dir reden könnte und du mir eine Chance gibst.»
Sie nahm ihren Teller auf den Schoß, lehnte sich auf der Couch zurück, hielt den Blick auf seinen Rücken gerichtet und flüsterte weiter, wieder dasselbe. Irgendwann wurde er aufmerksam. «Was hast du gesagt?»
«Nichts.»
Er griff nach der Fernbedienung, blendete den Ton aus und schaute sie wütend an. «Was soll das, Nadia?» Offenbar hatte er sie doch verstanden. «Alles gut!» Er schüttelte frustriert den Kopf. «Du änderst dich nie, das erlebe ich doch gerade wieder. Worüber willst du denn noch ganz offen mit mir reden? Von dir höre ich nie etwas anderes als Ausflüchte und Lügen.»
Dann sprach er über seine Furcht vor einer Wiederholung des Desasters, das sie vor zwei Jahren erlebt hatten. Die Bank ausgenommen, so hatte Wolfgang Blasting es ausgedrückt. Nach Michaels Schilderungen wusste sie es etwas genauer. Nadia hatte bei einer Düsseldorfer Privatbank Großkunden Kredite beschafft, bis sich herausstellte, dass einer dieser Kunden gar nicht existierte und die vorliegenden Bilanzen an Nadias Computer entstanden waren. Mit dem Geld hatte sie an der Börse spekuliert, auch Gewinn gemacht, mit dem sich der finanzielle Schaden wieder beheben ließ. Natürlich hatte sie trotzdem die fristlose Kündigung bekommen, als die Sache aufflog – weil der junge Röhrler sie verpfiffen hatte. Vor Schlimmerem – sprich einer Anzeige und der Bekanntschaftmit einem Staatsanwalt – hatte der Einfluss ihres Vaters sie bewahrt und die Tatsache, dass die Bank keinen Skandal wollte.
Nun, meinte Michael, spiele sie dasselbe Spiel in umgekehrter Richtung. Möglicherweise schwatzte sie den Kunden, die sich bei Alfo Investment um eine Gewinn bringende Geldanlage bemühten, Beteiligungen an nicht existierenden Firmen auf. Privatleute hatten kaum die Möglichkeit, ausländische Firmen zu überprüfen. Die mussten glauben, was man ihnen erzählte und vorlegte.
Völlig sicher war er nicht, weil er keine Beweise hatte. Aber warum sonst war sie in letzter Zeit so nervös? Weil es an der Börse zurzeit verdammt flau aussah. Weil sie ebenso wie er wusste, dass es über kurz oder lang schief gehen musste – so wie es vor zwei Jahren schief gegangen war. Es musste doch nur ein Anleger sein Geld zurückverlangen, das sie verspekuliert hatte!
Er sprach über die Nächte, in denen er durchs Haus gewandert war, halb verrückt vor Angst, sie habe mit etlichen Promille im Blut einen Unfall verursacht. Und über die Szenen im Labor, wenn sie dort auftauchte. So betrunken, dass sie sich kaum auf den Beinen halten konnte. So voller Wut, dass sie keine verständliche Silbe mehr über die Lippen brachte. Ratte hatte sie ihn geschimpft, weil er den Alkohol aus dem Haus schaffte, ihr die Kreditkarten und den Autoschlüssel wegnahm. Weil er sie festhielt, um zu verhindern, dass sie sich umbrachte. Nun dachte er, es sei besser für die Ratte, das sinkende Schiff zu verlassen. Er musste Prioritäten setzen, war sich selbst noch wichtig genug, um bei aller Liebe und Dankbarkeit einen Schlussstrich zu ziehen. Er wollte abspringen, ehe er mit ihr absoff.
Er glaubte immer noch, dass sie verschwinden wollte. Wenn bereits ein Kunde misstrauisch geworden war, durfte man das wohl als den Startschuss werten. Und vorher, da war er sicher,wollte sie alle Hebel in Bewegung setzen, ihn zu ruinieren nach dem Motto «Was mir gehört, darf ich kaputtmachen, das bekommt keine andere». Dabei dachte er gar nicht daran, sich erneut mit Beatrice Palewi einzulassen.
Dass er damals in Beatrices Bett gelandet war … er wollte sich nicht von jeder Schuld freisprechen, aber er war auch nur ein Mensch. Er hatte Angst gehabt, schlicht und ergreifend erbärmliche Angst, heimzufahren, weil er das, was ihn dort erwartete, nicht länger zu ertragen glaubte. Und dann war er der Alleinschuldige, als sei seine Reaktion der Auslöser gewesen. Sie hatte es immer verstanden, die Dinge in ein Licht zu setzen, das ihren Augen angenehm war.
Das wäre vielleicht der geeignete Moment gewesen für ein umfassendes Geständnis. Weißt du eigentlich, dass deine Frau sich schon vor zwei Jahren von dir scheiden lassen und zurück zu Jacques wollte? Der
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