Die Lüge
nicht ein fremdes Weib bei sich ein und lässt es herumschnüffeln. Die war nicht halb so blöd, wie du gedacht hast. Oder hast du sie am Donnerstag eingeweiht, um mich auszubooten? Ja, hast du, gib es zu. Anders kann man sich das ja gar nicht erklären. Du hast dich mit dem Weib zusammengetan, weil du den Hals nicht voll kriegst. Du wolltest mich über die Klinge springen lassen. Ich hätte wissen müssen, dass ich dir nicht trauen kann. Ich hätte mir schon was in der Art denken müssen, als ich deine Briefe in ihrem Schrank fand.»
Er äffte Nadias Tonfall nach. «Vielleicht kann ich etwas tun, das zu ändern. Wie hattest du es dir denn vorgestellt? Die wäre mit einer halben Million mehr als zufrieden gewesen, was? Mit der hättest du nicht teilen müssen. Du hast sie ins Büro geschickt, um den Laptop zu holen. Du hast ihr meine Adresse gegeben. Du hast darauf spekuliert, dass Zurkeulen mich aus dem Weg räumt. Wo ist sein Geld? Ich war in Luxemburg,da ist es nicht. Aber mit mir machst du das nicht, du verdammtes Biest.»
«Ich mach’s nur mit dir», sagte sie. «Und zu deiner Information: Das habe ich jetzt alles auf Band. Wenn du die Klappe nochmal aufmachst, wanderst du in den Knast. Ich habe nämlich niemanden umgebracht. Ich habe nicht einmal jemanden betrogen.»
An die folgenden zwei Stunden erinnerte sie sich später nur vage. Sie wusste, es war wenige Minuten vor fünf gewesen, als sie Philipp Hardenbergs Mercedes am Antoniterweg rückwärts aus der Garage hatte rollen lassen. Und als sie ihn in der Einfahrt am Marienweg zum Stehen brachte, war es kurz nach sieben. Sie musste in diesen beiden Stunden einiges erledigt haben. Helga und Hardenberg in der Notaufnahme einer Klinik abgeliefert, weitergefahren und einmal Rast gemacht haben auf der Standspur, weil sie nicht weiterkonnte – mit dem Begreifen.
Hardenbergs hasserfülltes Flüstern wollte einfach nicht verstummen, obwohl er längst nicht mehr neben ihr saß. Und Nadia lächelte ohne Unterbrechung, wiederholte ihr großzügiges Angebot einer Zukunft ohne Sorgen unentwegt, obwohl sie längst kalt geworden war. Und hätte sie an dem Freitagmorgen im Parkhaus einen Blick auf die Gebührentabelle geworfen, hätte sie nicht alles zur Bank gebracht und den Alfa sofort nach Geschäftsschluss auslösen können, wäre sie pünktlich am Flughafen gewesen, wo Hardenberg auf sie wartete. Dass sie es nur ihrer Schusseligkeit verdankte, noch am Leben zu sein, war mehr, als sie verarbeiten konnte.
Und vielleicht hatte Nadia es so auch nicht gewollt. Sie hatte schließlich noch einmal in der Confiserie angerufen an dem Freitagvormittag. Um sie zu warnen? Vielleicht. Aber vielleicht war Nadia auch am Samstagabend in die Kettlerstraßegefahren, um sich ihren Laptop zurückzuholen und das zu tun, was Hardenberg nicht gelungen war. Sie zu beseitigen. Das war das Letzte, was Hardenberg von Nadia gehört hatte. Am frühen Samstagmorgen hatte sie ihn noch einmal angerufen und gesagt, sie habe es gestern Abend leider nicht geschafft. Aber er solle sich nicht so aufregen, übers Wochenende sei mehr Zeit. Da könne sie sogar die Leiche spurlos verschwinden lassen. Es käme alles in Ordnung.
Alles in Ordnung! Dieser Satz drehte sich noch wie ein Endlosband in ihrem Hirn, als sie auf die Haustür zuging. Zum ersten Mal musste sie den Hund in der Diele bellen lassen. An Tasche und Schlüssel hatte sie nicht gedacht, als sie Zurkeulen zu seinem Wagen folgte. Wolfgang öffnete ihr. Er war nicht länger Blasting, der gefährliche Polizist, nur noch ein Freund wie Jo.
Michael stand vor dem Bauernschrank im Wohnraum, drehte ein halb gefülltes Glas in der Hand. Und er war nicht in Ordnung. Ein wenig betrunken war er, ein wenig verunsichert, ein wenig verzweifelt, von allem ein wenig. Er nahm sie in die Arme und goss ihr etwas Whisky in den Nacken, weil er das Glas nicht abstellte. «Du riechst so gut und schmeckst viel besser», murmelte er. Sein Kuss schmeckte nach Salz und Whisky. «Wie kommt das?» Er hielt sie ein Stück von sich ab, schaute ihr forschend ins Gesicht.
«Ich rauche doch nicht mehr», sagte sie. «Vielleicht sind es auch die Hormone.»
Er nickte. «Ich habe nur einmal zugeschlagen. Und er stand nicht mehr auf.»
Noch mehr Informationen. Und keinen Platz mehr im Hirn, um sie unterzubringen. Michael hatte Ramon das Genick gebrochen. Wolfgang war am Apparat gewesen, als Zurkeulen annahm, mit seinem Schläger zu sprechen. Ihr tat es nicht Leid um Ramon.
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