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Die Lüge

Die Lüge

Titel: Die Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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Ihr tat gar nichts mehr Leid. Nur die Tropfenvielleicht, die ihr den Nacken hinunterrannen. Sie löste sich aus seinen Armen, nahm ihm das Glas aus der Hand, trank den Rest und sagte. «Ich muss etwas essen.»
    Wolfgang begleitete sie in die Küche. Da er den Tag ohnehin an ihrem Schreibtisch verbringen wollte, half er ihr bei der Zubereitung eines üppigen Frühstücks. Das heißt, er übernahm die Zubereitung fast alleine, weil sie bei jedem Handgriff innehielt, um sich zu erinnern – an Nadias zerhackte Sätze von jenem Freitag. Sie hätte so gerne gewusst, was Nadia tatsächlich gesagt hatte. Aber sosehr sie auch grübelte, ihr fiel nichts ein zu dem letzten Anruf – nur eine Menge zu Nadias letzten Stunden. Offenbar hatte sie Zurkeulen und seinem Schläger trotz aller Qualen nicht verraten, wo Susanne Lasko an diesem Samstagabend zu finden wäre. Sonst wären die beiden Scheusale schon viel früher am Marienweg aufgetaucht. Und dass Nadia ihre eigene Adresse verschwiegen hatte, um ihr Double zu schützen, war schwer vorstellbar. Für Nadia war es nur um Michael gegangen, darauf hätte sie das Leben ihres Kindes verwettet. Nadia musste ihn wohl doch sehr geliebt haben, jedenfalls in den letzten Stunden.
    Nach ein paar Minuten kam auch Michael in die Küche. Dann saßen sie zu dritt am Tisch. Wolfgang stopfte hungrig ein Omelett, etliche Toastscheiben und ein Bündel Trauben in sich hinein. Sie kaute mechanisch auf etwas herum, von dem sie nicht einmal wusste, wie es auf ihren Teller gekommen war. Andrea musste in den vergangenen Tagen eingekauft haben. Schwierig war es für Zurkeulen kaum gewesen, herauszufinden, wie er sich Zutritt verschaffen konnte.
    Michael rührte minutenlang seinen Kaffee um und murmelte: «Es war wirklich nur ein Schlag.»
    Wolfgang legte ihm eine Hand auf die Schulter. «Vergiss es. Niemand geht davon aus, dass du in voller Absicht so fest zugeschlagen hast. Du warst wütend, du warst   …»
    «Nein», widersprach Michael. «Ich war nicht wütend.» Er war mit einem Mal sonderbar ruhig, schaute sie an, nachdenklich und zweifelnd. «Du hast den Alarm nicht   …»
    «Es ging nicht», unterbrach sie ihn. «Zurkeulen stand unmittelbar neben mir. Ich hatte Angst, dass er etwas merkt.»
    Seine Sprache war leicht verwaschen, er war mehr als nur ein bisschen betrunken. Trotzdem funktionierte sein Verstand ausgezeichnet. «Was hätte er denn merken sollen? Man will eine Jacke anziehen und nimmt den Bügel vom Haken. Da ist doch nichts dabei. Warum hast du es nicht getan?»
    Erst in diesem Moment erinnerte sie sich an Nadias Warnung, auf keinen Fall den Bügel abzunehmen. Stiller Alarm, dachte sie. Und sie hatte angenommen, er sage das nur, um Zurkeulen in die Flucht zu schlagen.
    «Frau Gerling hat sich ja auch nicht getraut», sagte Wolfgang.
    Michael kümmerte sich nicht um den Einwand. «Dieses Schwein hat mich gefragt, ob ich absolut sicher bin», sagte er und ließ die Augen mit diesem zweifelnden Blick über ihr Gesicht gleiten, als wolle er jede Pore abtasten. Sie wartete darauf, dass ihr Herzschlag sich beschleunigte oder das Bewusstsein des Endes sich auf andere Weise Luft verschaffte. Aber nichts geschah.
    «Sag mir was», verlangte Michael. «Irgendwas. Sag mir, wo ich mir den Knöchel verstaucht habe.»
    «Mein armer Schatz», sagte sie. «Was hat dieser Kerl dir angetan? In Arosa. Ich hatte dich gewarnt. Es war mehr Eis als Schnee auf der Piste. Aber du wolltest mir ja unbedingt beweisen, wie gut du auf Skiern bist.»
    Er schluchzte auf, kümmerte sich weder um Wolfgang noch um seinen Kaffee. Die Tasse kippte um, als er sich über den Tisch beugte, sie zu sich heranzog und küsste. Es mochte tausend «Weißt du noch»-Episoden geben. Sie hatte einfachGlück gehabt, dass er eine aus dem halben Dutzend zog, das Nadia ihr zur Verfügung gestellt hatte. Das war ihr nur allzu bewusst.
    Wolfgang brachte ihn ins Bett. Junge, schlaf deinen Rausch aus und lass uns arbeiten. Das sagte er zwar nicht, aber er meinte es so. Auf der Treppe hörte sie Michael von der grausamen Vorstellung reden, dass Zurkeulen ihm alles nahm, wofür es sich zu leben lohnte. Dass er es ihm vielleicht schon genommen hatte, weil der stille Alarm nicht ausgelöst worden war. Dass er verrückt geworden war bei diesem Gedanken. Und deshalb war es keine Wut, es war der pure Wille zur Vernichtung gewesen, als er auf Ramon eindrosch. Er wusste genau, dass das Genick eine Schwachstelle war. Und es hatte ihn in dem

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