Die Lüge
lauschte hinaus auf den Flur. Erst als sie hinter sich eine Frauenstimme nach Terry rufen und zusätzlich eine Art Winseln hörte, drehte sie sich um und bemerkte die Veränderung auf dem großen Monitor.
Er zeigte in der rechten oberen Ecke einen kleinen Bildausschnitt. Sie erkannte den Vorgarten und ein Stück Straße, sogar einen Teil der gegenüberliegenden Grundstücke. Das aus ihrem Blickwinkel rechte Anwesen war mit einer hohen Mauer zur Straße abgegrenzt, ein schmiedeeisernes Tor stand offen. Vom linken Grundstück war nur etwas Rasen zu sehen. Am Straßenrand lag ein Herrenfahrrad, eine dieser Rennmaschinen, mit denen in der Stadt junge Leute die Fußgängerzonen unsicher machten. Neben dem Rad stand ein sehr großer, zotteliger Hund und beschnüffelte einen am Boden liegenden Mann in bunten Shorts, von dem sie nur den Rücken sah. Eine aufgeregt wirkende Frau, die ihr irgendwie bekannt vorkam, die sie jedoch nicht einordnen konnte, kam eilig über die Straße, rief erneut: «Terry!», und näherte sich dem gestürzten Mann. «Hast du dich verletzt?»
Fasziniert schaute sie zu, wie der Mann aufstand, sein linkes Knie betastete, sich nach dem Rad bückte und erneut zu fluchen begann. «Verdammt, Elenor, kannst du das Vieh nicht anbinden?»
Es war alles leise, aber gut zu verstehen. Sie hatte die Überwachungseinheit im Arbeitszimmer entdeckt, doch hier störte es sie seltsamerweise nicht. Erneut griff sie nach dem Handbuch und blätterte beruhigt noch ein paar Seiten um.Anschließend widmete sie sich den Aktenordnern im Rollcontainer. Es waren einige schmale und drei dicke, von denen zwei beschriftet waren mit «Haus» und «Versicherungen».
Der dritte trug nur ein M als Hinweis auf die Art der Unterlagen und reizte ihre Neugier am meisten. Zuletzt abgeheftet worden war ein Arbeitsvertrag zwischen Michael Trenkler und einem Pharmakonzern. Das angeführte Jahreseinkommen war Schwindel erregend hoch und hielt sie davon ab, die restlichen Schriftstücke zu prüfen. Lediglich Michaels Alter registrierte sie noch. Er war schon fünfunddreißig. Sie hatte ihn für jünger gehalten.
Im Ordner «Haus» ließ sich die Entwicklung vom Kauf der Immobilie bis zum letzten Bewegungsmelder verfolgen. Alles gehörte ausschließlich Nadia, und es schien nicht, dass noch eine Rechnung offen stand oder eine Hypothek abzutragen war. Unter «Versicherungen» war alles abgeheftet, was das Herz eines Vertreters abzuschließen begehrte, unter anderem eine Police auf Nadias Leben.
Und obwohl sie nur drei Wochen in der Branche tätig gewesen war, erkannte sie auf Anhieb, dass es sich um eine Risikoversicherung handelte, es wurde kein Kapital angespart. Fällig nur im Todesfall! An Nadias Grab wäre Michael Trenkler um eine Million Euro reicher.
2. Teil
S usanne Lasko las die Summe in Worten und in Zahlen, und in beiden Fällen wirkte sie gleichermaßen beunruhigend. Die Police war vor sieben Jahren abgeschlossen und nach der Währungsumstellung angepasst worden. Vielleicht hatte Nadia nur ihren Mann absichern wollen, weil Michael in der ersten Zeit ihrer Ehe noch nichts verdient hatte.
Inzwischen war es sieben vorbei, und sie fand, sie hätte sich hinlänglich mit allem vertraut gemacht. Sie ging hinunter in die Küche, trank noch einen Schluck Mineralwasser, um den angesichts der Zahlen staubtrockenen Mund zu spülen. Dann schloss sie die Terrassentüren im Wohnraum, verließ das Haus, verschloss auch die Haustür, der Schlüssel mit der blauen Markierung war der richtige. Sie ging zur Einfahrt, spähte in alle Richtungen, dass nicht gerade wieder der zottelige Hund auftauchte, tastete dabei in der Handtasche nach dem Autoschlüssel. Und noch bevor sie feststellen konnte, dass er nicht da war, sah sie den leeren Platz vor der Garage.
Neben dem niedrigen Zaun hockte auf dem Nachbargrundstück der kurz zuvor gestürzte Mann vor dem Herrenrad und polierte mit einem Lappen den dünnen Rahmen auf Hochglanz. Wolfgang Blasting, der Polizist, der zu viel Zeit hatte, sich um die Nachbarschaft zu kümmern! Er richtete sich auf und erkundigte sich: «Ist Doc noch Mäuse melken?» Dabei grinste er breit und irgendwie proletarisch. Es erinnerte sie an Heller und passte nicht in diese Gegend. Das taten auch seine folgenden Worte nicht. «Hat er mir den Schalter mitgebracht?»
Sie zuckte nur mit den Achseln.
«Wollte er aber tun», sagte Wolfgang Blasting. «Sieh mal nach.» Es klang nach einem Kommando und machte sie wütend –
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