Die Lüge
beruhigt zu verlassen. «Ich wollte dir keine Szene machen», begann sie. «Ich wollte auch nicht trinken. Ich dachte nur …»
Sie bot ihm das lässige Achselzucken und das spöttische Lächeln mit leicht geschürzten Lippen. «Ich dachte, du bleibst hier, wenn ich so tue, als ob. Aber fahr nur, ich weiß ja, wie wichtig die neue Reihe ist und dass du Kemmerling nicht mit Olaf alleine lassen kannst. Ich werde die Flaschen nicht anrühren.» Um die letzte Behauptung zu unterstützen, hob sie die rechte Hand und fügte hinzu: «Großes Ehrenwort!» Es klang nach einem Indianerschwur und wäre Nadia vermutlich nie über die Lippen gekommen.
Michael Trenkler gab einen Laut von sich, nur ein rasches Ausatmen, aber es klang sehr ungläubig, sehr abfällig und sehr verletzt. Er nickte mechanisch, stieß sich von der Tür ab und öffnete sie erneut. Im Hinausgehen sagte er: «Das ist ja eine ganz neue Platte. Wir reden morgen, okay?»
«Okay», sagte sie und massierte ihr schmerzendes Handgelenk, sein Griff hatte rote Spuren hinterlassen. Als die Haustür endlich hinter ihm zufiel, blies sie erleichtert die Backen auf und ließ die Luft langsam entweichen. Draußen heulteein Automotor auf. Dass nirgendwo auf der Straße ein Auto gestanden hatte, als sie ankam, war ihr in der Aufregung entfallen.
Sie ging zurück in die Küche, kippte die Cola in den Ausguss und unternahm die erste Expedition durch Nadias Leben. Im Wohnraum klimperte sie kurz auf dem Flügel, schaute sich die Noten auf dem Ständer an. «Chopin – Nocturne in G Minor». Es klang sehr kompliziert, so sah es auch aus. Darunter befanden sich noch Blätter von Wilhelm Friedemann Bach, Tschaikowsky, Rubinstein, Saint-Saëns und Telemann. Die letzten beiden Namen sagten ihr gar nichts. Sie schlenderte zur Sitzgruppe, fragte das schwarz-goldene Packpapier, ob es der Beckmann sei, und bekam keine Antwort.
In den Küchenschränken herrschte peinliche Ordnung. Eine Fernbedienung für den kleinen Fernseher über dem Kühlschrank fand sie nicht. Sie suchte auch nicht gründlich danach. Im Kaminzimmer stieß sie auf weitere gerahmte Kunstwerke und einen zweiten Fernseher. Er war zwischen den Natursteinen über dem Kaminsims in die Wand eingelassen und kaum größer als ihre Handfläche. Sein Miniaturformat brachte sie zu der Erkenntnis, dass es sich um ein Teil der Alarmanlage handeln musste. Nadia hatte so viel erklärt von Bewegungsmeldern, Wärmesensoren und Überwachungseinheiten, dass sie sich etwas Futuristisches darunter vorgestellt hatte.
Sie ging zurück in den Wohnraum und entdeckte dort einen ähnlichen Winzling, den sie beim ersten Rundgang übersehen hatte. Nachdem sie wusste, wonach sie suchen musste, erspähte sie die Überwachungseinheit im Esszimmer auf Anhieb. Irgendwie fand sie es lächerlich und maßlos übertrieben. Gleichzeitig war es unangenehm, vermittelte ihr das Gefühl, auf Schritt und Tritt beobachtet zu werden, obwohl sämtlicheMonitore dunkel waren. Nur in der Toilette und in der Diele schien es keine Spione zu geben.
Sie betrachtete noch einmal das Kästchen unter der Lederjacke im Garderobenraum. Nadias Handtasche lag noch auf der Truhe. Der Bund mit den markierten Schlüsseln lag daneben, den Autoschlüssel wähnte sie in der Tasche. Anschließend wandte sie sich der geschwungenen Treppe zu, stieg zuerst hinunter und inspizierte das Kellergeschoss. Es gab einen Hauswirtschaftsraum, ihn Waschküche zu nennen wäre eine Beleidigung gewesen. Einen Vorratsraum mit Getränkekästen und überwiegend leeren Regalen, nur ein paar Dosen Hühnersuppe und Ravioli standen darin. Da hatte sie mehr erwartet. Aber die beiden Tiefkühlschränke waren gut gefüllt, hauptsächlich mit Fertiggerichten.
Dann stand sie unvermittelt in lindgrünen Lichtreflexen. Der Swimmingpool! Etwa so groß wie das Wohnzimmer und vermutlich tief genug, um zu ertrinken, wenn man nicht schwimmen konnte. Die halbe Außenwand bestand aus Glastüren, die sich zur Seite schieben ließen. Hinter den Türen hob sich sanft eine Rasenfläche bis zum Niveau des Gartens. Seitlich führte eine Tür in ein winziges Verlies. Darin waren Maschinen untergebracht, die wohl zum Pool gehörten. Genauer schaute sie nicht hin, es war zu eng und zu dunkel. Und Nadia hatte sie nicht beauftragt, sich über Umwälzpumpe, Wasserfilter oder dergleichen zu informieren. Nebenan entdeckte sie noch einige Gerätschaften zur Körperertüchtigung, eine Sonnenbank und die Sauna.
So ließ
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