Die Luft, die du atmest
Erdgeschoss herum unterbrochen, wo das verglaste Foyer hellerleuchtet war. Der Parkplatz war überfüllt, sogar auf den Rasenflächen zwischen den Gebäuden parkten Autos. Ein Mann in Uniform trat aus dem Eingang. Der Wachmann von gestern Abend. Peter erkannte ihn an der müden Schulterhaltung. Er bremste und ließ sein Fenster herunter.
«Wir haben hier keinen Platz mehr», gab der Mann Peter Auskunft. «Wir mussten einen ganzen Haufen Studenten wegschicken. Es wurden immer mehr.» Er schüttelte denKopf. «Erst plant und plant man für den Ernstfall. Und wenn er dann eintritt, merkt man, wie nutzlos die ganzen Pläne waren.»
Zehn Straßen weiter, in einem großen, massiven Backsteinhaus, war seine Wohnung. Die Türen am Eingang standen weit offen. Eigentlich achtete der Hauswart pedantisch darauf, dass sie geschlossen waren. Peter trat ein und lauschte. Links lief leise ein Fernseher. Fahrräder lehnten an der Wand. Alles schien normal. Achselzuckend schloss er die Tür, ging die Treppe in den ersten Stock hinauf und rechts durch den Flur zu seiner Wohnung. Auch hier wirkte alles unverändert. Das schmale Bett in der Ecke mit den straffgezogenen Decken. Der ramponierte Tisch, der ihm als Nachtschrank und als Küchentisch diente, mit der Bogenleuchte, seiner Kaffeekanne und dem Wecker. Der Klappstuhl in der gegenüberliegenden Ecke neben dem kleinen Bücherbord. Die gerahmten Fotos von seinen Töchtern, Maddies Tuschebild von einer Ente, das er mit Klebestreifen an die Wand gehängt hatte. Er hatte die Vorhänge halbgeöffnet gelassen. Auf den verschlissenen Teppich fiel blasse Morgensonne. Er packte seinen Koffer und stopfte weitere Sachen in einen Kleidersack. Dann zog er die Stecker des Fernsehers und des DV D-Players aus der Steckdose und schloss die Vorhänge. Er sah sich noch einmal in dem kleinen Zimmer um, seinem Zuhause seit über einem Jahr.
Im Treppenhaus kamen ihm ein Mann und eine Frau entgegen. Er erkannte das Paar, das nebenan wohnte, die beiden studierten noch am College. Peter hatte sich angewöhnt, am Wochenende bis in die Nacht zu arbeiten, um ihre unvermeidlichen Partys zu meiden, und hatte versucht wegzuhören, wenn sie morgens früh miteinander schliefen. Sie drückten sich an die Wand, um ihn mit seinem Gepäck vorbeizulassen.
«Machen Sie’s gut», sagte die Frau.
Es war das erste Mal, dass sie mit ihm redete. Und es klang nach einem Abschied für immer. Peter nickte. «Sie auch.»
Sie ging weiter die Treppe hinauf, innig umschlungen von ihrem Freund.
In der kurzen Zeit, die er in der Wohnung verbracht hatte, waren die Straßen lebendig geworden. Im kleinen Café an der Ecke brummte das Geschäft. Die Terrasse war voll, die Leute standen bis auf den Bürgersteig hinaus an und warteten auf ihren Kaffee. Fahrräder sausten vorbei. Leute gingen Hand in Hand spazieren. In der Innenstadt herrschte fast so etwas wie Jahrmarktsatmosphäre, überall waren Menschen, die sich darüber freuten, so unverhofft einen freien Tag genießen zu können.
Peter schüttelte missbilligend den Kopf und verstaute seine Sachen auf der Ladefläche seines Pick-ups.
Er fuhr an den Spielplätzen vorbei, die vor einer Stunde noch leer gewesen waren. Überall spielende, vergnügt schreiende Kinder. Ihre Eltern standen in Gruppen zusammen, schaukelten Kinderkarren und beratschlagten vermutlich, wie sie diesen und all die folgenden schulfreien Tage meistern sollten. Wahrscheinlich waren die Kinos rammelvoll. Genauso wie die Einkaufspassagen, die Schnellrestaurants, die Bücherei und das Sportzentrum – überall, wo Kinder willkommen waren. Was ein großer Fehler war.
Die Lage war viel zu ernst. Keiner von ihnen sollte hier herumstehen und lachen und plaudern. Er überlegte, ob er anhalten und sein Fenster herunterkurbeln sollte, um ihnen zu sagen, dass sie nach Hause gehen sollten. Aber natürlich ließ er das bleiben. Sie hätten ihm gar nicht zugehört. Ihn für einen Verrückten gehalten.
«Hör dir das an.» Shazia saß im Wohnzimmer auf dem Fußboden, den Laptop auf den Knien. Ihr Haar fiel ihr offen über die Schultern. Sie spielte mit der Spange und knipste sie immer wieder auf und zu. «Die Biotechnologieabteilung von RNL arbeitet an einem Impfstoff.»
«Wer tut das nicht?» Peter wandte sich wieder seinem eigenen Bildschirm zu und tippte ein paar Befehle ein. Er musste seine Vorlesungen für die Woche hochladen und dann die Prüfung auf den Weg bringen. Es war alles schon Magisterstoff, aber das
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