Die Luft, die du atmest
konnte er an diesem Punkt von seinen Studenten auch erwarten.
«Aber es sieht aus, als könnten sie an was dran sein. Sie befinden sich bereits in der zweiten Phase der Klinikstudie.»
Peter drehte sich zu ihr um. «Wirklich?»
Sie nickte. «Ein Dr. Liederman ist der Leiter.»
«Albert Liederman?»
«Kennst du ihn?»
«Er ist mein Doktorvater. Ich habe seit Monaten nicht mehr mit ihm geredet.» Er hatte sich um den alten Herrn schon Sorgen gemacht. Im Lauf des letzten Jahres hatte er aufgehört, an Kongressen teilzunehmen und Anrufe zu erwidern. Peter hatte befürchtet, dass es ihm nicht gutging, aber offenbar war er einfach anderweitig ausgelastet gewesen. «Ich liege ihm seit Jahren in den Ohren, dass er seine Erfahrungen mit der Influenza-Welle von 1978 aufschreiben soll. Da waren wir nur so weit von einer ausgewachsenen Pandemie entfernt.» Er hielt Daumen und Zeigefinger hoch und kniff sie zusammen.
«1978?»
Sie hatte vermutlich noch nie davon gehört. Wie die meisten anderen auch.
«Der Mann kann einem kalte Schauer über den Rücken jagen. Du müsstest ihn mal davon erzählen hören.»
Und dabei wollte Liederman es auch belassen. Wie oft hatte er gebrummt: «Ich kann kein Buch schreiben, Brooks. Das müssen Sie machen.»
Peter lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. «Er hat mir vor einiger Zeit seine Notizen überlassen. Damit ich versuche, ein Buch daraus zusammenzustellen. Vielleicht könntest du mir helfen, das Material zu ordnen.»
«Sehr gerne.»
Aus den Augenwinkeln nahm er eine Bewegung wahr. Ann stand in der Tür. «Willst du den Grill anwerfen?»
Shazia stellte ihren Laptop auf den Boden. «Ich kann helfen.»
«Bleib sitzen.» Peter winkte lässig ab. «Heute Abend koche ich.»
Shazia sah ihn an. «Wie nett.»
Er wusste, was sie dachte. Was konnte sie kulinarisch schon von einem Mann erwarten, der seine Ernährung mit Sandwiches aus dem Automaten und warmen Mahlzeiten vom Imbiss bestritt?
Peter ging neben Ann durch den Flur. «Kann sein, dass ich eine Unterkunft für Shazia gefunden habe. Die Uni wird Baldwin Hall aufmachen. Ich habe sie überredet, sie aufzunehmen, obwohl sie nicht auf der offiziellen Liste steht.»
«Schade, dass sie nicht zusammen mit ihrer Mitbewohnerin untergebracht wird.»
«Es wird dort reichlich ausländische Studenten geben. Sie wird bestimmt ein paar von ihnen kennen.»
Maddie lag auf dem Bauch vor dem Fernseher. Er hatte keine Ahnung, was zurzeit ihre Lieblingssendungen waren und was sie da gerade sah. Eine Gruppe Mädchen im Grundschulalter lieferte sich Wortgefechte mit einem Mann in einer Hotellivree. Peter blieb an der Couch stehen, auf der Kate mitihrem Laptop saß. Es war sein alter, aber für sie zum Spielen reichte er immer noch. «Mit wem redest du?»
Sie antwortete, ohne aufzublicken. «Michele. Claire. John. Andrea. Scooter.»
Er sah Ann an. «John? Scooter?» Die Namen hatte er noch nie gehört. Was war Scooter nur für ein Name? Er war sich nicht einmal sicher, welches Geschlecht sich dahinter verbarg.
«John ist Micheles Freund.» Ann reichte ihm eine Platte mit rohen Hamburgern. «Und Scooter ist ein Mitschüler von Kate. Sie haben einen Kurs zusammen.»
Peter betrachtete seine große Tochter, die mit geröteten Wangen auf ihren Computerbildschirm starrte. Dann wanderte sein Blick zu Ann. Ihre Stirn war leicht gerunzelt. Sie schüttelte den Kopf.
Nichts sagen
, funkte sie ihm zu, und er nickte.
Sie war doch noch so jung. Er schob die Fliegengittertür auf und trat auf die Terrasse hinaus. Viel zu jung. Gerade war sie dreizehn geworden. Durch das Fenster beobachtete er, wie Kate im Schneidersitz auf der Couch saß, fohlenhaft, das lange braune Haar nach vorn fallend. Mit anmutigen, geschmeidigen Händen tippte sie etwas ein, lehnte sich zurück und lachte. Der Anblick ging ihm unmittelbar zu Herzen.
Er machte den Grill an, und zu seiner Freude leuchtete sofort die Flamme auf. Er hatte gar nicht nachgesehen, ob noch genug Propan in der Flasche war. Er legte die Hamburger auf den Rost und stellte die leere Platte ab.
Der Abend war kühl, er konnte seinen Atem sehen. Über den dunklen Gehwegen leuchteten die Straßenlaternen, den Sonnenuntergang hatte er verpasst.
Ein dunkler Geländewagen glitt vorüber. Der Fahrer hob die Hand zum Gruß. Es war der Arzt, der neben den Guarnieris wohnte. Wie war noch sein Name? Singh. Ja, so hieß er. Er warein paar Monate vor ihrer Trennung in die Straße gezogen. Sie hatten einander immer
Weitere Kostenlose Bücher