Die Luft, die du atmest
Schrank.» Anns Sachen würden ihr nicht passen. Shazia war zu lang und dünn, aber sie würden schon irgendwas finden.
«Ja gerne, danke.» Shazia faltete eine Plastiktüte zusammen und griff nach der nächsten.
Drinnen kniete Maddie vor dem Kasten mit den Filzstiften und kramte darin herum. «Hallo, Mom, da bist du ja. Kate hat nach dir gerufen. Libby ist am Telefon.» Sie zog den Deckel von einem Stift und schmierte etwas auf ein Blatt Papier. «Die sind alle ausgetrocknet, Mom.»
«Guck mal in die Kisten mit meinen Sachen für die Schule.»
Im Hobbyraum hielt Kate ihr den Hörer hin und machte ein ungeduldiges Gesicht. «Ich hatte gerade Michele am Apparat.»
Dann waren also auch Michele und ihre Familie telefonisch zu erreichen. Gott sei Dank. Wenigstens etwas. «Ich sag dir Bescheid, wenn ich fertig bin. Du kannst solange bitte überall die Kissen von den Betten einsammeln und ins Wohnzimmer bringen.» Ann nahm den Hörer ans Ohr. «Hey. Wie geht’s euch da drüben?»
«Ist das zu glauben?» Libby klang, als wäre sie den Tränen nahe. «Gerade wollte meine Mutter kommen, da haben sie diese blöde … Quarantäne verhängt.»
«Das ist ja wirklich zu dumm.»
«Ich meine, wie wollen sie denn die Leute am Reisen hindern?»
Ann lehnte sich an den Schreibtisch. Der Bildschirm von Peters Laptop war noch hoffnungsvoll geöffnet. Sie drückte ihn zu. «Indem sie auf sie schießen.»
«Na, hör mal! Dies ist Amerika, nicht irgendein Land in der Dritten Welt.»
«Doch, Libby, das werden sie tun. Das Risiko ist zu groß.»
Libby stieß zitternd die Luft aus. «Wie sieht es bei euch aus?»
«Mein Vater hatte eine schlechte Nacht. Er hustet wieder. Aber wenigstens haben sie Strom.»
«Schön zu wissen, dass es irgendwo zivilisiert zugeht.»
«Ich weiß nicht, wie zivilisiert es da zugeht. Bei Beth hat jemand eingebrochen, während sie bei der Arbeit war. Die Polizei ist nicht mal gekommen, um die Sache zu Protokoll zu nehmen. Sie haben ihre Anzeige bloß über Telefon aufgenommen.»
«O Gott, daran habe ich noch gar nicht gedacht. Was ist, wenn hier eingebrochen wird? Wir haben keine Schusswaffe. Wir haben
überhaupt nichts
.»
«Libby, reg dich ab. Hier wird keiner einbrechen.» Anns Blick schweifte trotzdem zum Fenster. Natürlich war da draußen niemand. Das war doch Unsinn.
«Ich habe es so satt, Ann. Ich will bloß eine heiße Tasse Tee und in Ruhe meine Zeitung lesen, ohne eine Schreckensnachricht nach der anderen zu bekommen.»
«Ich weiß. Na, wenigstens haben wir noch das Telefon.»
«Sonst würde ich durchdrehen.» Im Hintergrund ertönte gedämpftes Rufen. Libby seufzte. «Ich muss Schluss machen. Smith braucht irgendwas. Wahrscheinlich hat er mal wieder vergessen, wie man eine Windel wechselt.»
Ann lächelte. Libby klang schon besser. «Ich ruf dich nachher nochmal an.»
Im Keller war es stockfinster. Ann tastete automatisch nach dem Lichtschalter, doch auf halbem Weg hielt sie inne. Sie trat in den Heizungskeller und wartete darauf, dass ihre Augen sich an das Dunkel gewöhnten. Nichts. Sie konnte nicht einmal schwache Umrisse erkennen. Alles war schwarz. Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen, bis sie gegen einen Widerstand stieß. Sie beugte sich mit ausgestreckten Händen vor und berührte die glatte Oberfläche einer Kiste. Sie nahm den Deckel ab und spürte Metall und festen Stoff unter ihren Händen. Am Zelt vorbei griff sie tiefer ins Innere der Kiste und fand etwas Geripptes, das sich nach Gummi anfühlte. Sie zog es heraus und ließ es neben sich fallen. Darunter musste noch so ein Ding liegen, und, siehe da, so war es. Sie wischte Staub und ein klebriges Spinngewebe beiseite und hoffte, dass die Spinne, von der das Netz stammte, sich inzwischen verzogen hatte. Vorzugsweise in ein anderes Sonnensystem.
Nachdem sie beide Luftmatratzen hochgeschleppt und im Wohnzimmer nebeneinander ausgelegt hatte, pumpte sie sie mit der Handpumpe auf. Auf jede passten zwei Personen. Sie waren fünf. Einer von ihnen würde auf dem Sofa Platz finden. Die Familie konnte auf dem Boden schlafen. Maddie und Kate innen, und die beiden Eltern außen. Shazia konnte auf dem Sofa schlafen. Es war lang genug, und sie war schlank.
Sie lief noch einmal in den Keller und grub ihre gesammelten Schlafsäcke aus: die beiden bunten, mit Comicfiguren bedruckten von den Mädchen, die sie zu Partys mitnahmen, bei denen die ganze Gesellschaft übernachtete, die beiden robusteren von vor Urzeiten,
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