Die Luft, die du atmest
an den Hosen abwischen.
Lass mich mal dahin, Mom. Ich muss das Gitter vormachen.
«Ann», flüsterte Peter.
Sie wusste, was er dachte. Dass ihre Gedanken um nichts anderes kreisten. Sie drehte sich auf die Seite und starrte weiter in die Finsternis. Sie hatte ihre Chance, jemand anderem das Leben zu retten, gehabt. Und wie es ausgegangen war, wussten sie beide.
Die Massenkarambolage auf der I-71 hat bisher schätzungsweise dreizehn Menschen das Leben gekostet. Die Rettungskräfte sind noch im Einsatz, um zu Reisenden vorzudringen, die seit Freitag in ihren Fahrzeugen eingeschlossen sind. Die Autobahn bleibt gesperrt. Die Polizei bittet Autofahrer, auf andere Strecken auszuweichen.
Mehr als 600 000 Haushalte sind weiterhin ohne Strom. Man hat aus benachbarten Bezirken Personal hinzugezogen, um die Versorgung schnellstmöglich wiederherzustellen. Ein Sprecher des Versorgungsunternehmens teilte allerdings mit, dass weitere Verzögerungen zu befürchten seien, weil man auf Ersatzteile aus dem Ausland warte. Alle Bürger und Bürgerinnen werden gebeten, Leitungsschäden unter der Nummer 911 zu melden.
In der ganzen Region herrscht Schneenotstand Stufe drei. Sämtliche Straßen der Kategorie eins und zwei sind von Fahrzeugen zu räumen. Verbleibende Fahrzeuge werden auf Kosten der Halter abgeschleppt.
Die Quarantäne bleibt bestehen. Von öffentlichen Zusammenkünften wird bis auf weiteres abgeraten. Personen mit Grippesymptomen oder dem Verdacht auf eine Ansteckung werden dringend aufgefordert, ihre Wohnungen nicht zu verlassen.
Die Nachrichten auf WTVN
Radio WTVN, Columbus, Ohio
SIEBZEHN
Peter schaltete das Radio aus, kletterte aus dem Pick-up und knallte die Tür zu. Das Geräusch hallte durch die Garage.
Seit drei Tagen gab es keinen Strom, seit 72 Stunden wies nicht das geringste Flackern darauf hin, dass an den Leitungen gearbeitet wurde. Das einzige Fahrzeug, das hin und wieder durch die Straße fuhr, war der PS-starke Geländewagen der Singhs, und selbst der war beim ersten Versuch im Schnee steckengeblieben. Peter hatte geholfen, ihn zur Hauptstraße zu schieben. Wo immer die Räumfahrzeuge waren, bis zu ihnen waren sie noch nicht vorgedrungen. Singh hatte ihm erzählt, dass er seit über einer Woche keinen geöffneten Supermarkt gesehen habe. «Ich glaube nicht, dass sie beliefert werden. Der Schnee hat die Lage noch um einiges verschlimmert.»
«Wie ist es im Krankenhaus? Werden Sie versorgt?»
«Ja, aber bloß sporadisch. Aber, bitte, behalten Sie das für sich. Sonst gibt es noch einen Aufstand.» Kopfschüttelnd hatte sich Singh wieder ans Steuer gesetzt. «Ich gebe Ihnen Bescheid, wenn ich irgendwo sehe, dass was geöffnet ist. Ich lege Ihnen dann einen Zettel in den Briefkasten.»
Doch bis jetzt war der Briefkasten leer geblieben.
An der Hintertür bückte sich Peter und schnürte seine Stiefel auf. Hier war es genauso kalt wie draußen in der Garage. Er konnte seinen Atem sehen.
Ann stand im Wohnzimmer, die Hand am Telefon. Sie starrte aus dem Fenster. Oben hörte er Kate und Maddie. Sie zankten sich mal wieder laut. Eine Tür knallte. Er zuckte zusammen, doch Ann zeigte keine Reaktion. «Was ist los?»
«Vaters Behandlung ist verschoben worden.»
«Das tut mir leid.»
«Was soll man machen? Es läuft doch gar nichts mehr.» Sie drehte sich um und sah ihn an, das Gesicht von Sorgen gezeichnet. Eine Haarlocke hatte sich aus der Klammer gelöst und fiel ihr über die Wange. Es gab nichts, was er sagen konnte, um sie zu beruhigen, nichts, was sie nicht sofort durchschauen würde. «Hast du die Nachrichten gehört?», fragte sie.
«Sie reden inzwischen von dreizehn Toten. Und noch haben sie nicht alle rausholen können.»
«Die armen Leute.»
«Wer krank ist, soll zu Hause bleiben, sagen sie.»
«Auch mit Lungenentzündung? Damit muss man doch zum Arzt.»
Sie sah ihn Bestätigung heischend an. Es war eine unerträgliche Vorstellung, keine ärztliche Hilfe bekommen zu können, wenn man sie brauchte. Der Nachrichtensprecher hatte keine Ausnahmen genannt, aber natürlich würden die Leute weiter massenweise zum Arzt gehen. Eine Ansage im Radio würde sie nicht daran hindern, vor den Krankenhäusern Schlange zu stehen. Das war nur menschlich. Wenn eine seiner Töchter erkrankte, wäre er der Erste, der sich vor der Notfallaufnahme aufbauen und an die Tür trommeln würde.
«Ja, natürlich», sagte er wider besseres Wissen. Was an Medikamenten vorhanden war, würde rasch
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