Die Luft, die uns traegt
Kopf und räuspert sich. »Ich glaube nicht, dass irgendjemand von uns sich zu dem Zeitpunkt sonderlich Gedanken um das Wurzelwerk gemacht hat. Erstaunlich bei einem Biologen und seiner Umweltschützerehefrau«, bemerkt er mit einem traurigen, leisen Lachen.
Scarlet baut sich vor ihm auf. »Ich glaube dir nicht«, sagt sie.
Er sieht sie an, als hätte sie ihn geohrfeigt. »Was meinst du damit? Warum in Gottes Namen sollte ich bei so einer Sache lügen?«
»Das hat ihr so wahnsinnig viel bedeutet!«, sagt Scarlet, ohne die Augen von ihm abzuwenden. »Ich meine, ich kann einfach nicht fassen, dass du ihr das ausgeredet hast! Und im Übrigen – warum solltest du mich in diesem Punkt nicht anlügen? Nach allem, was du mir schon verschwiegen hast?« Und dann legt sie los, zählt alles auf, was sie im Laufe des letzten Jahrs wütend gemacht hat: »Erstens, dass der Krebs wieder da ist. Dann die Entscheidung, Dustin zu beauftragen – warum hat mir keiner was davon erzählt?«
Jetzt geht Scarlet ein paar Schritte weg und läuft am Bachufer auf und ab. Dustin ist von seiner Erkundungstour zurück, zieht es aber vor, Vater und Tochter nicht zu unterbrechen, und wartet in respektvoller Entfernung hinter Toms Auto.
Scarlet beobachtet ihn aus dem Augenwinkel und fragt sich, ob er wohl an Szenen wie diese gewöhnt ist.
Tom geht auf sie zu und streckt wieder die Hand nach ihrem Arm aus. Sie dreht sich zu ihm um. »Und wo wir schon dabei sind«, sagt sie, »was sollte das alles, in Cider Cove zu sterben und sich von Fremden pflegen zu lassen statt hier zu Hause von dir und mir? Da wurde ich auch nie gefragt.«
Inzwischen ist ihre Kehle wie zugeschnürt, sie hustet, ihre Stimme überschlägt sich. Sie ist von diesem Ausbruch genauso überrascht wie Tom und nicht einmal sicher, dass sie das alles so meint. Noch vor einem Monat, als sie von Addies und Toms Plänen für Addies letzte Tage erfuhr, hatte sie Addies Entscheidung, in Cider Cove zu sterben, als vernünftig empfunden, als richtig. Doch jetzt, als sie im Begriff stehen, den Leichnam ihrer Mutter in die Erde zu betten, ist sie offenbar auch darüber wütend.
»Ich hätte sie doch pflegen können.« Scarlet wimmert jetzt, wischt sich Rotz und Tränen mit dem Handrücken vom Gesicht. »Hier, zu Hause.«
Die ganze Zeit hat Tom schweigend am Bachufer gestanden und sie betrachtet. Im trüben Licht der Terrassenbeleuchtung kann Scarlet seinen schmerzerfüllten Blick erkennen. Nun kommt er zu ihr und nimmt sie wieder in den Arm. Einen Moment lang lässt sie sich festhalten, ist kurz davor, sich zu fügen, ihm alles zu überlassen. Doch dann entzieht sie sich.
»Und noch eine Sache«, sagt sie. »Du hast mir nie erzählt, dass du mit Lou geschlafen hast.«
Tom tritt zurück und starrt sie an, dann fährt er sich seufzend mit der Hand durch das lange, unordentliche Haar. Er geht ein paar Schritte weg, in den Schatten zwischen ihnen, bleibt dann stehen und lehnt sich an die Rückwand des Kühlwagens.
»Das stimmt, Scarlet«, sagt er schließlich, seine Stimme klingt heiser und müde. »Das habe ich dir nie erzählt. Aber das habe ich nicht als Lüge empfunden. In meinen Augen habe ich dich vor etwas beschützt, von dem ich wünschte, es wäre nie passiert, glaub mir. All diese Dinge, die du da aufzählst«, er machte eine ausladende Geste Richtung Bach, »hätte ich niemals als Lügen empfunden. Wir haben nur versucht, dich zu beschützen, dich nicht mit solchen Einzelheiten zu belasten. Wir wollten tun, was für alle das Beste war. Und weißt du, den größten Teil des vergangenen Herbstes warst du selbst ziemlich zugeknöpft.«
Scarlet zuckt innerlich zusammen, als sie sich an tagelang nicht erwiderte Anrufe, an in letzter Minute abgesagte Besuche erinnert. Sie war so verwirrt gewesen von dem, was sie und Bobby machten, so sicher, dass es niemand verstehen würde. Unverarbeitete pubertäre Obsession , würden alle kopfschüttelnd urteilen, bildete sie sich ein. Klassische weibliche Rettungsfantasien .
»Ich weiß«, flüstert sie. »Ich weiß, dass ich damals mehr oder weniger von der Bildfläche verschwunden war. Das tut mir jetzt so leid.«
Beide drehen sie sich zu Dustin um, der ins Licht getreten ist und sich räuspert. »Ich habe eine passende Stelle gefunden«, sagt er. »Soll ich anfangen?«
Tom seufzt erneut und streckt Scarlet eine Hand entgegen. »Vielleicht hatten wir Unrecht. Wir hätten dich mehr in diese Gespräche einbeziehen sollen. Aber ich wage zu
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