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Die Luft, die uns traegt

Die Luft, die uns traegt

Titel: Die Luft, die uns traegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
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Antwort ist noch nicht ganz bei Scarlet angekommen.
    Jetzt sieht Dustin wieder verwirrt aus. »Aber natürlich nicht.« Und dann überreicht er ihr zu ihrem Erstaunen eine Visitenkarte. »Dustin Lamott, Alternative Bestattungen«, steht darauf, neben einer E-Mail-Adresse in der unteren rechten Ecke.
    »Entschuldige.« Sie gibt ihm die Karte zurück. »Ich bin einfach davon ausgegangen, dass du einer von Addies Freunden oder Bewunderern bist. Sie hatte viele, besonders unter Umweltaktivisten und …«, sie sucht nach dem passenden Wort, zeigt dann schließlich wieder auf die Karte, »Alternativen.«
    »Ich habe deine Mutter wirklich bewundert«, sagt er und nippt an seinem Tee. »Deinen Vater auch. Und ich bin wohl auch eine Art Aktivist. Man könnte sagen, dass ich mich aktiv bemühe, das Bestattungswesen zu untergraben.« Dabei grinst er und prostet Scarlet mit seiner Teetasse zu.
    Sie erwidert die Geste. »Ich hatte keine Ahnung«, sagt sie, »dass ein natürliches Begräbnis so schwierig zu organisieren ist.«
    »Von so was haben die meisten Leute keine Ahnung«, sagt Dustin. »Und wenn sie dann dahinterkommen, ist es zu spät. Dann hat ihnen schon irgendein Bestattungsunternehmer einen Zehntausenddollarsarg untergejubelt, ihre Mutter oder ihren Mann randvoll mit Formaldehyd gespritzt und mit dem Aufmalen der Schminke angefangen.«
    Scarlet schüttelt sich bei der Vorstellung, jemand könnte so etwas mit Addies Leichnam anstellen. »Wie haben meine Eltern dich gefunden?«

    »Weiß ich nicht«, sagt er. »So was spricht sich herum. Internet vielleicht. Tom hat mir vor zwei Monaten eine E-Mail geschrieben, und ich bin nach Scranton gefahren, um das Holz von der alten Scheune abzuholen. Und dann vor zwei Tagen hat er wieder gemailt und Bescheid gegeben, dass es Zeit wird, die Balken aufzuladen und nach Cider’s Cove zu fahren.«
    »Cider Cove.« Scarlet korrigiert ihn instinktiv, während seine Informationen langsam zu ihr durchsickern.
    Nun steht Dustin auf und trägt die beiden Tassen zum Spülbecken. »Wie gesagt«, fährt er fort, »Tom hat sich um alles im Voraus gekümmert. Er hatte sich auch schon mit dem Typen geeinigt, dem dieser Hof in Scranton jetzt gehört. Er meinte, er wollte die Scheune sowieso abreißen, deshalb durfte ich mir nehmen, was ich wollte. Und das hab ich dann auch gemacht. Die Balken eines alten, schon länger nicht mehr genutzten Schuppens eignen sich sehr gut für meine Zwecke – sie sind leicht und schon angefault und meistens seit Jahren nicht mehr gestrichen oder irgendwie behandelt worden, so dass der Sarg keine unnötigen Giftstoffe an den Boden abgibt. Natürlich ist solches Holz auch nicht gerade einfach zu verarbeiten«, erzählt er weiter und setzt sich wieder an den Tisch. Plötzlich haben sie, wie es scheint, ein Thema gefunden, über das Dustin gern spricht. »Es splittert schnell, wenn man Nägel einschlägt oder es abschleift. Für Addies Sarg hatte ich glücklicherweise reichlich Material.«
    Scarlet nickt und bemüht sich, interessiert auszusehen. Doch sie hat noch nicht verarbeitet, was Dustin ihr gerade erzählt hat. Tom und Addie planen diese Bestattung schon seit Monaten ? Dann ist das ganze Drama vor zwei Wochen – Addies Beharren, auf einem Stück Land beerdigt zu werden, das dem College gehörte, und daraufhin Toms scheinbares Zögern, etwas so Unerhörtes zu tun –, dann ist all das also nur
eine Art Finte gewesen?, überlegt sie jetzt. Wenn beide von vorneherein wussten, was sie vorhatten, was um alles in der Welt sollte das Ganze dann?
    »Willst du damit sagen, dass Tom und Addie das schon vor Monaten mit dir abgesprochen haben?«, sagt sie.
    »Na ja, soweit es ging. Aber weißt du, bei den meisten Todesfällen kann man nicht alles bis ins letzte Detail planen. In der Regel weiß man nicht genau, wann es passiert, und wenn es dann so weit ist, muss man schnell reagieren. Ich muss auf Abruf bereitstehen. Bisschen hart für meine Frau und die Kinder manchmal«, ergänzt er lachend.
    »Das kann ich mir vorstellen«, meint Scarlet. Und denkt gleichzeitig, Aber klar, natürlich, so einer ist er: noch so ein überzeugter Ökokrieger, der mit der Aufgabe, den Planeten zu retten, verheiratet ist. Ganz egal, welche Belastung das für seine Ehe, für seine Familie bedeutet. Selbstverständlich musste Addie so jemanden auftreiben. Als Scarlet das denkt, bekommt sie allerdings sofort ein schlechtes Gewissen. Was sollen Eltern denn tun, sämtliche Leidenschaften im

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