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Die Luft, die uns traegt

Die Luft, die uns traegt

Titel: Die Luft, die uns traegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
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unterrichtete auch Sommerkurse, weil sie natürlich nun das zusätzliche Geld brauchten. Und mehrere Wochen lang kam jedes Mal, wenn Addie Scarlet anzog, um sie in der Hoffnung auf wenigstens eine Stunde Zeichnen am Vormittag mit nach draußen zu nehmen, irgendetwas dazwischen. Eine Explosion in der Windel und nur noch eine einzige saubere übrig, so dass sie sofort waschen musste. Bauchweh oder ein schmerzhafter Ausschlag oder ein schlechter Traum oder irgendetwas – wer wusste schon, was in diesem winzigen Köpfchen vor sich ging? –, was Scarlet in dem Tragetuch, in das Addie sie für den Weg zum Ansitz so sorgfältig gebettet hatte, aus dem Schlaf riss. Dann heulte die Kleine und ließ sich nur dadurch trösten, dass Addie sie aus dem Tuch holte und sich wieder einmal in den Schaukelstuhl am Fenster setzte, um sie zu stillen.
    Der Schaukelstuhl an dem Fenster, durch das die Sonne jeden Morgen weißgolden und schimmernd hereinfiel. Der Sonnenschein, der Addie noch eine Woche zuvor Tränen des Glücks in die Augen getrieben hatte, weil er sie an dasselbe goldene Licht erinnerte, das sie und Tom morgens auf ihrer Matratze auf dem Fußboden bestrahlt hatte, wenn sie betäubt vom seligen Schmerz einer Liebesnacht aufwachten. Und dann in ebendiesem Licht zu sitzen, in ihrem wunderschönen Schaukelstuhl aus Eichenholz, der schon ihrer Mutter und davor ihrer
Großmutter gehört hatte, das Baby zufrieden an ihrer Brust nuckelnd. Es war beinahe zu viel, mehr Glück, als sie ertragen konnte, hatte Addie in ihr Feldtagebuch geschrieben.
    Einen Monat war das erst her, stellte sie eines dunstigen Augusttags fest. Doch an diesem Tag war sie den Schaukelstuhl leid. Der Stuhl und ihr Bett waren die einzigen Orte, so kam es ihr vor, an denen sie sich seit einer Woche aufgehalten hatte. Sie hatte den Stuhl satt, und sie hatte den Sonnenschein satt, dieses selbe Sommerlicht, das immer noch weißlich gelb war, ihr jetzt aber ungesund gelb erschien. Heiß und erdrückend. Wie sie wünschte, es würde regnen.
    Denn es wäre ohnehin ein furchtbarer Tag für Vögel, das wusste Addie. Zu verhangen, zu windstill. Und inzwischen war es schon nach zehn Uhr. Kein Vogel würde sich noch rühren, falls sich überhaupt welche in der Nähe des Baches aufhielten.
    Also legte Addie die satte, tief und fest schlafende Scarlet in den Stubenwagen. Setzte sich an den Tisch und tippte noch ein paar weitere von Toms Notizen ab. Und kämpfte gegen die Tränen an. Weil sie so schrecklich, erbärmlich, unbeschreiblich gelangweilt war – gelangweilt vom Windelnwaschen, gelangweilt vom Herumsitzen und Stillen, schon allein Lesen war beinahe unmöglich, da sie die Seiten nicht umblättern konnte, ohne ihr forderndes Baby zu wecken und zu erzürnen. Gelangweilt auch davon, Toms Beschreibungen des Gesangs der Vögel abzutippen, anstatt die Tiere selbst zu hören und – noch wichtiger für Addie – zu sehen .
    Diese Art von Langeweile, Langeweile und Erschöpfung von der gesamten Unternehmung, eine Gattin, Mutter und »Hausfrau« zu sein, war für jemanden wie Addie Kavanagh in Burnham, Pennsylvania, im Sommer 1968, nicht leicht zuzugeben. Und noch schwerer einzugestehen als die Langeweile war eine simple Tatsache: Sie liebte das Muttersein nicht
uneingeschränkt. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie ihren Mann liebte, zumindest nicht auf die Art wie noch ein Jahr zuvor.
    Tom bemerkte die Veränderung und versuchte, so gut er konnte, zu helfen. Das sei völlig normal, passiere jeder Frau bei mindestens einem ihrer Kinder, meistens beim ersten, versicherten ihm seine verheirateten Kollegen während der morgendlichen Kaffeepause.
    »Das sind nur die Heultage«, erklärte ihm Jack Gaines, ein fröhlicher Chemiker und Vater von vier Kindern. »Sie muss mal aus dem Haus, führ sie zum Essen aus. Gib der Kleinen ihr Fläschchen und wechsle ab und an mal die Windel. Dann kriegt Addie sich schon wieder ein.«
    Tom brachte es nicht übers Herz, Jack zu sagen, dass er und Addie beide überhaupt nicht gern ins Restaurant gingen, da sie lieber aßen, was sie selbst gekocht hatten. Und er hatte schon viele Windeln gewechselt. Und Scarlet hatte noch nie ein Fläschchen bekommen. Was sollte das bringen, hatte Addie gefragt, wenn doch ihre Brüste vollkommen ausreichend und für Scarlet zudem viel besser waren?
    Aber dass Addie mal aus dem Haus musste, das leuchtete Tom ein. Und so gewöhnte er sich an, Mutter und Kind nach der Arbeit am späten Nachmittag, Scarlets

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