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Die Luft, die uns traegt

Die Luft, die uns traegt

Titel: Die Luft, die uns traegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
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Zigarette zu rauchen. Lou hatte etwas Trauriges an sich, dachte Addie, wenn sie ihr vom Fenster aus zusah, während Scarlet schlief und Cora sich bemühte, den stummen, vor sich hin starrenden Richard für ein paar riesige Bauklötze zu begeistern.
    Nach ihrem Abschluss in Burnham war Lou mit
Mr Nachwuchsarzt – oder Ted, als den ihn inzwischen alle kannten – nach Kalifornien gegangen. Zu diesem Zeitpunkt versuchte er sich tatsächlich an einem Medizinstudium und war, zum allgemeinen Erstaunen, immer noch Lous Freund. Beide hatten weiterhin auch andere Liebhaber – ein Merkmal ihrer Beziehung, dessen Lou leider deutlich früher überdrüssig werden würde als Ted. Speziell im Jahr 1979, als ihr erstes Kind Elizabeth auf die Welt kam und Ted, inzwischen Mr Politologe, bereits im dritten Jahr an seiner Dissertation »feilte«, nach wie vor finanziert von seiner wenig begeisterten Gattin Lou, die dachte, ein Kind würde vielleicht seinen Eintritt in den Arbeitsmarkt beschleunigen. Was Elizabeth glücklicherweise auch tat, woraufhin Mr Politologe sich in den kommenden Jahren zu Mr Aggressiver Akademischer Aufsteiger verwandelte und binnen kurzem Prodekan der Georgetown University in Washington, D. C., wurde.
    Nichts von alledem hätten Addie und Cora in jenen Frühlingstagen des Jahres 1968 vorausgesagt, dort am Ufer des Nisky Creek mit ihren beiden kleinen Kindern, während sie in Erinnerungen an ihre Streifzüge durch die Hügel der Umgebung nur drei Jahre zuvor schwelgten, als sie noch übermütige junge Studentinnen in Toms Kurs über die Biologie der Vögel gewesen waren. Die Stille nun, während Lou am Bach spazieren ging, war angenehm. Aber – und das war schon immer so gewesen, stellte Addie fest, als sie ihre Freundin durch die Scheibe beobachtete: Sobald Lou einen Raum verließ, vermisste Addie sie.
    »Lou wirkt irgendwie nachdenklicher«, sagte sie zu Cora. Doch Cora lachte nur, als Addie sich laut fragte, ob Lou sich nicht vielleicht auch ein Baby wünschte.
    Cora wiederum machte einen glücklichen Eindruck. Sie kümmerte sich um Richard, während Karl sein Studium der
Elektrotechnik abschloss und nebenher zwei Jobs hatte, um seine junge Familie zu versorgen. Was sie Addie nicht erzählte, war, dass sie in den ersten Jahren nach Richards Geburt manchmal nachts wachlag und sich Sorgen um die eigenartige Friedlichkeit ihres kleinen Sohnes, um seine mangelnde Reaktion, machte. Doch am Morgen war sie damit beschäftigt, Windeln zu waschen und Karl etwas für seine eiligen Mittagspausen zu kochen. Und so vergingen ihre Tage, und im Nu hatte Karl sein Examen gemacht und eine Stelle im südlichen New Jersey bekommen. Und dann war Cora wieder schwanger. Erst nach Roberts Geburt im folgenden Frühjahr, als sie in ihr erstes kleines Häuschen in Toms River gezogen waren, ließen sich die Unterschiede zwischen ihren beiden Söhnen sowie Richards Angewohnheiten – das sich Wiegen und Summen, die seltsamen Rückzugsphasen und, was am verstörendsten war, das Hämmern mit den Fäusten gegen Türen, Wände, seinen eigenen Kopf – nicht mehr länger ignorieren. Und Cora und Karl fassten den Entschluss, einen Spezialisten in Philadelphia zurate zu ziehen. Der teilte ihnen mit, dass es sich eindeutig um Autismus handele und man leider wenig tun könne.
    Aber nun, an diesem warmen und wunderschönen Junitag 1968, wusste Addie nur, dass ihr Baby gesund war, dass sie ihren Mann und ihr gemeinsames Leben mit ihm liebte und dass ihre liebsten Freundinnen bei ihr waren. Es gab natürlich auch einen Krieg, der sie umtrieb, und eine Einberufung. Es gab den unbekümmerten Einsatz von Pestiziden, industrielle Gifte in der Luft und die achtlose Zerstörung tierischer Lebensräume direkt vor ihrer eigenen Haustür. Es gab die brutale Beschlagnahmung von Land und Häusern sowie Pläne, einen nutzlosen und aus ökologischer Sicht verheerenden Damm nur einhundertfünfzig Kilometer flussaufwärts zu bauen. Doch irgendwie verblasste dieses ganze Wissen, dieses
ganze schmerzliche Bewusstsein, jedes Mal, wenn Addie in die Augen ihrer neugeborenen Tochter blickte oder wenn sie zusah, wie Tom die Kleine auf dem Arm hielt und ihr vorsang, oder wenn sie mit ihren alten Freundinnen zusammensaß, über alte Zeiten sprach und lachte.
    Doch dann ging Lou zurück nach Kalifornien, und Cora kam seltener, da sie gegen Ende des Sommers vollauf damit beschäftigt war, ihre kranke Mutter zu pflegen. Und Tom übernahm wieder reguläre Bürozeiten und

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