Die Luft, die uns traegt
neuen Buch, seiner neuen Rolle als Vater, seinem von den Monaten in England geschärften Umweltbewusstsein, seinem Zorn über das anhaltende Leid des Kriegs in Südostasien. Und Addie, die unverfrorene junge Frau von vor zwei Jahren, die gleiche, die damals mit ausdruckslosem Blick den vielen missbilligenden Mienen auf dem Campus von Burnham begegnet war, Addie, die frischgebackene Mutter, war plötzlich allseits beliebt und geachtet. Es begann, als sie sichtlich schwanger war. Wenn sie in jenem Frühjahr über den Campus von Burnham spazierte, um Bücher zurück in die Bibliothek zu bringen oder sich an sonnigen Tagen mit Tom im Garten des naturwissenschaftlichen Instituts zum Mittagessen zu treffen, dann wurde sie von jedem freundlich angelächelt und gegrüßt – selbst von der griesgrämigen alten Mrs Hodges aus dem College-Buchladen, die, davon war Addie überzeugt, sie schon seit ihren Studententagen hasste, wo sie oft ihr letztes Kleingeld auf die Theke gezählt hatte, um sich einen neuen Pinsel oder einen Skizzenblock zu kaufen.
Nie ließ ihr Erstaunen darüber nach: über die Macht der
Mutterschaft, eine Frau in den Augen anderer zu verwandeln. Später sollte Addie lernen, wie schwer dieser brüchige Respekt unter Umständen für eine Mutter festzuhalten war. Doch zunächst einmal war sie der Liebling nicht nur des Burnham College, sondern auch ihrer eigenen Eltern, die sich schließlich und endlich in die Rolle der Schwiegereltern eines Dozenten fügte, der nur fünfzehn Jahre jünger war als sie selbst. Und in die Rolle der Großeltern eines braunäugigen Mädchens mit fortwährend zerzaustem rotbraunem Haar, eines kleinen Wildfangs, der ihrer Ansicht nach allzu frei am Ufer dieses bedrohlichen Bachs herumstreunen durfte, doch in den sie trotz allem völlig vernarrt waren.
Zurück aus England und mit Tom gemütlich im Cottage eingerichtet, zeichnete und malte Addie besser als je zuvor, und durch die Veröffentlichung von Eine Prosodie der Vögel hatten sich auch zusätzliche – bezahlte – Aufträge als Illustratorin ergeben. Plötzlich war sie berufstätig, eine eigenständige, professionelle Künstlerin. Obwohl sie natürlich eine Zeitlang von dieser Arbeit abgelenkt wurde, als Scarlet auf die Welt kam. Wenn sie in der Morgensonne saß und ihren wenige Wochen alten Säugling stillte, konnte sie sich stundenlang verlieren, immer wieder abwechselnd eindösen und in Träumereien versinken, die von nichts anderem als dem Geruch ihrer Tochter ausgelöst wurden.
Sie kannte Toms Duft – die Mischung aus Seife, Schweiß und Holzrauch – und liebte ihn auf seinen Kleidern, auf ihrer eigenen Haut. Doch der Geruch ihres Kindes war mächtiger als das, war für Addie realer als der Duft oder das Gefühl ihrer eigenen Haut. Wonach genau riecht das eigene Neugeborene unmittelbar auf seinem sich noch entwickelnden kleinen Körper, unter den Salben und Pudern, unter dem frischen Duft windgetrockneter Windeln? Nach Brot vielleicht – warmem
Brot. Dem hefigen Aroma von Muttermilch auf der Zunge. Dem Fell im Nacken eines jungen Kätzchens. Adam oder Eva vor dem Sündenfall.
Sollte Addie jemals einen Beweis für das Hauptanliegen ihres Mannes als Lehrer (»Wir sind letzten Endes selbst Säugetiere, vergessen Sie das niemals, wenn jemand Ihnen einzureden versucht, wir seien durch ein Wunder aus Staub ›erschaffen‹ worden«, konnte sie ihn noch dozieren hören) gebraucht haben – was nicht der Fall war –, dann war er hier in Form dieses schreienden kleinen Säugetiers, das an ihrer Brust saugte.
Addie war berauscht von ihrer überströmenden Liebe zu Scarlet – berauscht und gleichzeitig erschöpft. Die ersten Wochen zu Hause mit ihrem neuen Baby verbrachte sie – unterstützt zunächst von ihrer Mutter, später auch immer mal wieder von Lou und von Cora – in einem Nebel glücklicher Mattigkeit, stillte ihr Kind, betrachtete es mit den Augen einer Geliebten, lachte mit ihren Freundinnen und sogar mit ihrer Mutter.
Ihre Lieblingstage waren die, an denen Lou und Cora zu Besuch kamen, Lou vom Haus ihrer Mutter in Philadelphia aus, Cora aus der Universitätswohnung in Bethlehem, die sie, Karl und der zweijährige Richard bewohnten. Lou unterhielt sie mit haarsträubenden Geschichten über ihre zunehmend sonderbaren und zurückgezogen lebenden Eltern sowie den üblichen Berichten über ihre diversen Liebschaften. Dabei ging sie etwa einmal pro Stunde nach draußen, um am Bach entlangzuspazieren und eine
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