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Die Luft, die uns traegt

Die Luft, die uns traegt

Titel: Die Luft, die uns traegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
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ausreichend Leute gesagt, dass sie »leuchtet«, um alles zu glauben, was man über die positiven Auswirkungen einer Schwangerschaft hört.
    »Was in Gottes Namen nimmst du übrigens, damit deine Haut so aussieht?«, fragt Lou und greift nach der Kaffeekanne.
    Scarlet spürt die Hitze in ihre Wangen steigen. Ein Kompliment von Lou – der Einzigen aus der Generation ihrer Eltern, Tom und Addie eingeschlossen, die ihr Aussehen je bemerkte, und erst recht kommentierte – hat immer diese Wirkung auf sie.
    Cora sieht aus, als wollte sie etwas sagen, doch Scarlet wirft ihr einen Blick zu, der nein bedeutet. Nicht jetzt. Nicht zu Lou. Und Cora nickt, beinahe unmerklich.
    »Ich schätze mal, Cider Cove bekommt mir einfach«, meint Scarlet nur achselzuckend.
    Lou mustert sie einen Augenblick und lächelt dann. »In Ordnung, von mir aus. Behalt deine Geheimnisse für dich. Aber wenn es Botox ist, will ich wissen, wo du es herhast.« Sie lacht laut, wird dann unvermittelt nachdenklich.
    Einen Moment lang ist Scarlet fassungslos. Sie kann sich nicht erklären, was das jetzt sollte. Botox?, denkt sie. Bitte, Lou – ich bin Addie und Tom Kavanaghs Tochter. Ich habe mir Koffein abgewöhnt und die paar Joints, die ich früher ab und zu geraucht habe, und ich färbe mir keine Strähnchen mehr
ins Haar. Ich habe schon einen Termin bei ein paar Hebammen in New York und lese Broschüren über das Stillen. Also bitte, Lou.
    »Im Ernst, Lou.« Cora spricht es für sie aus. »Botox?«
    Und dann schluchzt Lou auf, das Gesicht in den Händen vergraben.
    »Warum denn nicht?«, weint sie, ihre Stimme klingt rau und unnötig laut. »Warum nicht Botox? Wollt ihr nicht über Botox und all die anderen Dinge sprechen, über die man sich in meinen Kreisen so unterhält? Wenn es nicht gerade um Innenarchitekten geht oder über die Haushaltshilfe geschimpft wird. Botox, Schönheitsoperationen, Fettabsaugen. Hautabschleifung. Laservenentherapie. Kosmetische Zahnbehandlung. Wir sind eine faszinierende Bande, das kann ich euch sagen. Bemerkenswert abwechslungsreich in unseren Interessen.«
    Sie lacht bitter auf, dann richtet sie den Blick vor sich ins Leere, als spräche sie mit jemand anderem, nicht mit Cora oder Scarlet. »Worüber sonst sollten Frauen meines Alters reden?«, fragt sie verächtlich.
    Nun legt sie wieder die Hände vors Gesicht, und als sie eine Minute später weiterspricht, hat ihre Stimme sich plötzlich verändert. »Ich sage ja nur«, flüstert sie so leise, dass Cora und Scarlet sich beide unwillkürlich nach vorn beugen, um sie verstehen zu können, »ich sage ja nur, Scarlet, vergiss nicht, was für ein beschissener Haufen Lügen das alles ist.« Sie schnieft und wischt sich die Augen mit der Serviette, die Cora ihr gegeben hat.
    »Krieg bloß keine Kinder«, sagt sie dann. »Damit fängt es an, damit bricht das Ganze um dich herum langsam zusammen. Sieh uns an, sieh uns alle an. Meine Töchter reden kaum mit mir.« Sie zeigt auf Cora. »Denk doch dran, was Cora alles durchgemacht hat. Und Addie…o mein Gott, ich will nicht
mal so tun, als würde ich Addie verstehen. So sehr sie dich und Tom geliebt hat, was sie natürlich getan hat, unübersehbar getan hat, aber trotzdem: Sieh dir an, wie verrückt es sie gemacht hat, dort in Burnham festzusitzen zwischen all diesen Rückfällen ins neunzehnte Jahrhundert, kein Ventil für ihr riesiges Talent zu haben, ewig in dieser vergammelten alten Hütte zu hocken.«
    Cora starrt in ihren Kaffeebecher. »Hör auf, Lou«, flüstert sie durch zusammengebissene Zähne.
    »Nein, lass nur«, sagt Scarlet. »Ich möchte das hören.« Sie wendet sich an Lou. »Sprich weiter, bitte.«
    Lou hebt den Kopf und blickt aus dem Fenster, dann seufzt sie tief. »Herrgott«, sagt sie endlich. »Herrgott. Ihr müsst doch wissen, dass ich damit nicht meine, Addie hätte dich, Scarlet, nicht bekommen sollen oder wir alle hätten keine Kinder bekommen sollen. Oder dass Addies Leben in irgendeiner Weise schlechter als meines oder sonst eines war.«
    Sie sieht Scarlet an. »Ich habe ein wunderschönes Haus, und ich hasse es. Ich würde lieber in einer Hütte an einem Bach wohnen, wenn du die Wahrheit wissen willst. Mein Exmann hat es geschafft, unseren Töchtern einzureden, dass unsere gegenseitige Verachtung allein meine Schuld ist. Ich stecke meine Zeit, Kraft und ein Gutteil meines Geldes in mein eigenes Aussehen, obwohl mich nie wieder ein Mann mit auch nur einem Hauch von Begehren ansehen wird. Also

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