Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Luft, die uns traegt

Die Luft, die uns traegt

Titel: Die Luft, die uns traegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
Vom Netzwerk:
Schachtel Zigaretten aus der Tasche, hält sie einen Moment lang nur in der Hand – selbstvergessen, beinahe zärtlich – und legt sie dann vor sich auf den Tisch. »Ich hatte die Wohnung über der Garage vermietet, die, in der Addie damals wohnte, Scarlet, weißt du noch?« Scarlet nickt, sie erinnerte sich nur zu gut an diese sauberen, beinahe leeren Räume.

    »Jedenfalls hatte ich sie für einen Spottpreis an eine Freundin von Liz vermietet, eine Studentin. Ich war früh aufgestanden und ins Gewächshaus gegangen, um ein paar Pflanzen umzutopfen, die ich gezogen hatte, und als ich an der Tür stand, hörte ich ein Geräusch, ein unverkennbares. Zwei Menschen, die Sex haben. Sie stöhnten, atmeten heftig, gingen wirklich zur Sache. Es waren diese Studentin und ihr Freund, sie hatten eine Matratze nach unten geschleppt und genau dort im Gewächshaus auf den Boden gelegt, unter die Geranien und den Hibiskus.
    Und wer wollte ihnen das schon verdenken? Es war ein wunderschönes Fleckchen, warm und dunstig, und natürlich roch es himmlisch. Ich hab es selbst schon ein-, zweimal dort gemacht.« Hier hält sie inne, weil sie einen strengen Blick von Cora auffängt.
    »Was denn?« Scarlet ist verwirrt. »Jetzt bin ich urplötzlich wieder die junge Unschuld? Müsst ihr mich vor irgendwas beschützen? «
    Eine Weile lang sagt niemand etwas, und Scarlet ist aus irgendeinem Grund auf einmal heiß und unwohl. Sie haben sich unbemerkt etwas Verbotenem genähert, und Scarlet weiß es. Sie hat das Gefühl, auch selbst mehr zu wissen, irgendwie. Mehr, als sie wissen möchte.
    So verharren sie eine ganze Zeitlang, schweigsam und angespannt. Gerade räuspert Scarlet sich, will aufstehen und gehen, als Lou wieder das Wort ergreift, die Stimme jetzt noch stiller, tief und heiser.
    »Nein, hört mir zu. Woran ich mich an diesem Tag erinnerte, war tatsächlich etwas Schönes, etwas, das so lange her war … ich stand dort in der Tür zum Gewächshaus und sah eine Weile zu. Ich konnte mich einfach nicht losreißen. Was zwischen diesen beiden passierte, war so anders als meine eigenen unbeholfenen, lächerlichen Eskapaden dort drin.«

    Sie und Cora wechseln einen flüchtigen Blick, dann fährt sie fort: »Ich sah den Unterschied, weil ich mich daran erinnerte, selbst so empfunden zu haben. Echte Leidenschaft gefühlt zu haben, meine ich. Und woran ich dachte, war meine Reise nach Griechenland mit Ted, als wir noch so jung waren. Das war unmittelbar, nachdem er sein Medizinstudium abgebrochen hatte. Wir hatten einen Riesenstreit gehabt, uns getrennt, jeder mit anderen Leuten rumgevögelt und uns dann zerknirscht wieder versöhnt, wie wir das in jenen Tagen immer taten. Und wir beschlossen, ein Weilchen nach Europa zu fahren, einfach mal raus aus allem, in Ruhe nachdenken, was Ted als Nächstes tun könnte, um nicht eingezogen zu werden. So jung waren wir damals. Mein Gott, Cora, weißt du noch?«
    Cora nickt, sie mustert Lou eindringlich.
    »Jedenfalls landeten wir ziemlich bald in Griechenland und klapperten die Inseln ab. Woran ich mich aber noch erinnere, ist ein Nachmittag auf Santorin, an einem dieser zauberhaften Strände aus schwarzem Sand, diesem vulkanischen Sand. Wir waren beide nackt, jeder dort war nackt, und wir schwammen eine Runde, und als wir aus dem Wasser kamen, sahen wir einander nur an, und ich schwöre euch, niemals habe ich empfunden, was ich in diesem Augenblick empfand, weder vorher noch nachher. Ihm ging es genauso.«
    Sie schließt die Augen. »Das tiefste Verlangen, das ich je gespürt habe. Es muss etwas mit diesem Sand zu tun gehabt haben und mit diesem Licht und dem Wind und dem blaugrünen Wasser. Vielleicht damit, dass ich Angst hatte, er könnte in einen dummen, sinnlosen Krieg geschickt werden. Ich weiß es nicht, ich habe kein Wort dafür. Leidenschaft bedeutet heute nichts mehr, das trifft es irgendwie nicht, aber ich müsste es wohl so nennen. Die echte, wahre Leidenschaft, schlicht und einfach. Er packte mich an der Hand, und wir rannten, ich
meine wirklich rannten zum nächsten versteckten Plätzchen, das wir finden konnten, einen sandigen Fleck zwischen einigen Felsen am Fuße der Steilwand hinter uns. Kein Handtuch, keine Decke dabei, nichts, wir hätten es sowieso nicht gewollt. Und wir warfen uns förmlich auf diesen Sand und fielen übereinander her …«
    Scarlet schielt zu Cora, deren Augen hinter der Lesebrille geschlossen sind. Wieder ist ihr unangenehm heiß, Schweiß rinnt ihr die Seite

Weitere Kostenlose Bücher