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Die Luft, die uns traegt

Die Luft, die uns traegt

Titel: Die Luft, die uns traegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
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Gabel hin, sie konnte nicht länger so tun, als äße sie. Lous Oberlippe war zu einem gehässigen Grinsen verzogen. Sie war bereit für dieses Gespräch, das war deutlich zu sehen. Wahrscheinlich wartete sie schon den ganzen Tag darauf.
    »Tja, das überrascht mich, Ted«, sagte Addie. »Ich hätte gedacht, dass du dort in deinem gemütlichen Büro an der Georgetown reichlich Zeit hast, bessere Beispiele zu finden, weit interessantere Beispiele für ›Anarchie‹ und ›Protest‹ als unsere kleinen Scharmützel im ländlichen Pennsylvania.«
    Lou schnaubte vor Lachen.
    Ted lächelte und deutete dann mit seinem Glas in Addies Richtung. »Ganz im Gegenteil, Addie. Ich bin fasziniert von euren kleinen Scharmützeln. Und deshalb würde mich wirklich mal interessieren, was das für ein Gefühl war, dieses Streichholz anzuzünden. Oder Moment mal, du willst uns doch wohl nicht erzählen, dass du es nicht selbst getan hast? Warum um alles in der Welt solltest du so viel Zeit in meinem Haus verbringen, wenn das der Fall wäre?«
    »Ted«, sagte Lou da, während Tom aufstand und sich entschuldigte. Aber Ted beachtete sie gar nicht.
    »Natürlich könnte ich verstehen, dass du einfach die Gesellschaft
meiner bezaubernden Frau genießt, den guten Wein, die köstlichen Mahlzeiten, die sie kocht …«
    »Ted, halt einfach den Mund, bitte.«
    Er sah Lou an. »Warum? Warum sollte ich den Mund halten? Ich versuche doch nur, Addies Strategie zu begreifen.« Wieder wandte er sich Addie zu. » Ist das denn überhaupt eine Art Strategie, Addie? Alles Teil eines großen Plans, den du und deine Freunde haben?«
    Scarlet erwartete, dass Addie ihre übliche Taktik anwenden würde. Dann verdrehte Ted das Argument dieses Mal eben ein bisschen, hob es auf eine persönliche Ebene, machte es etwas unbehaglicher für Addie, na wenn schon? Sicherlich, dachte Scarlet, würde Addie trotzdem einen Weg finden, ihre moralische Überlegenheit auszuspielen, würde wie immer auf ihr hohes Ross springen und auf alle unter sich herablächeln. Daher war sie überrascht festzustellen, dass ihre Mutter auf ihren Teller starrte, sprachlos und – obwohl Scarlet das kaum glauben konnte – offensichtlich den Tränen nah.
    Ted hingegen wurde gerade erst warm. Er nahm einen großen Schluck Wein und lockerte seine Krawatte. In den vergangenen Jahren hatte er etwas zugenommen, sein Hals war dicker, ein Bauchansatz drückte gegen die Knöpfe seiner ordentlich gebügelten Hemden. Aber er sah immer noch gut aus, sein gewelltes Haar war von grauen Strähnen durchzogen und gerade eben lang genug, um ihm ein jugendliches, legeres Aussehen zu verleihen. Abgesehen von den teuren Anzügen und dem Bauch hätte er sich Tom zum Vorbild genommen haben können. Bisweilen versetzte es Scarlet einen Schock, wenn sie daran dachte, dass ihr Vater diesen Mann einst unterrichtet hatte.
    »Du darfst vorübergehend die Heldin sein. Geht es darum?« Er lächelte Addie an, während er sprach, ignorierte ihr sichtliches
Unbehagen. »Zum Teufel mit deinem Mann und deiner Tochter, zum Teufel mit jeder Art von normalem Leben für sie. Viel wichtiger ist, eine Heldin für die gute Sache zu sein, richtig?«
    Lou dagegen lächelte jetzt nicht. »Ich sagte, du sollst den Mund halten, Ted. Halt verdammt noch mal die Klappe!«
    Er drehte sich zu ihr um. »Ach, und jetzt willst du wohl plötzlich dieses unreife Verhalten verteidigen ? Hast du nicht gerade erst vor zwei Tagen an genau diesem Tisch gesagt, dass du dich wunderst, dass Addie aus dem Ganzen nicht längst rausgewachsen ist?«
    Jetzt knallte Lou ihre Gabel auf den Tisch, dann ihre große Leinenserviette. Es war ein Jammer, dachte Scarlet damals, dass all das gute Essen umkam. Lou und Ted machten nicht den Eindruck, als würden sie Reste essen. Einen Moment lang verlor sie sich in der interessanten, wenn auch irrelevanten Frage, wie Addie wohl mit all dem Überfluss und all der Verschwendung in einem Haushalt wie diesem umging. Es war leichter, als darüber nachzudenken, was Addie wohl gerade empfinden mochte. Oder darüber, dass Scarlet diese Situation tief im Inneren in gewissem Maße auch genoss. Waren das nicht genau die Fragen, die sie Addie selbst immer stellen wollte?
    Addie entschuldigte sich, stand auf und ging. »Du bist ein Arschloch, Ted«, sagte Lou und lief ihr nach.
    Scarlet trug Addies und ihren eigenen Teller in die Küche und ging nach oben, um Suzy und Liz gute Nacht zu sagen. Als sie im Vorbeigehen einen Blick ins

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