Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Luft, die uns traegt

Die Luft, die uns traegt

Titel: Die Luft, die uns traegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
Vom Netzwerk:
lenke ich meine gesamte überschüssige sexuelle Energie in teures Essen und Kunstgegenstände, die mir eigentlich egal sind, und in dieses verfluchte Museum von einem Haus, das ich für Ted geschaffen habe, immer für Ted, der ja Leute aus Georgetown bewirten musste, wie er gesagt hat, der andauernd auf etwas Besseres aus war – einschließlich einer ganzen Horde williger und eifriger Studentinnen, seinen karrieregeilen kleinen Politikwissenschaftlerinnen,
die er allesamt gevögelt hat, eine nach der anderen gleich dort in seinem Büro. Und danach kam er dann nach Hause zu einer Cocktailparty auf unserer Veranda und verströmte seinen schmierigen Charme und quatschte die Frau des Rektors voll und begrüßte jeden im Raum überschwänglich.
    Meine Güte, das konnte er gut. Es hat mich krank gemacht, und gleichzeitig, ich kann das nicht erklären, hat es mich auch an gemacht. Selbst mitten in diesem ganzen Wahnsinn, obwohl ich wusste, was er da praktisch direkt vor meiner Nase trieb, sehnte ich mich noch nach ihm. Manchmal glaube ich, wir hatten den besten Sex, wenn ich ihn am meisten hasste. Zumindest am Ende.
    Also hab ich mitgemacht – jahrelang mitgemacht. Ich habe den Partyservice engagiert und den Wein bestellt und dekoriert und umdekoriert und noch mal umdekoriert, bis ich dachte, ich muss spucken, wenn ich noch ein einziges Exemplar von Schöner Wohnen oder Architectural Digest in die Hände kriege.«
    Sie hält kurz inne und sieht wieder aus dem Fenster. »Wisst ihr«, erzählt sie, ihre Stimme klingt jetzt weicher, »vor Jahren hatten wir einen Nachbarn. Ein verrückter alter Kerl, pensionierter Professor für sonst was, die Geißel der Nachbarschaft, so in der Art. Sein Garten war völlig zugewachsen von wuchernden Hortensien und Pfingstrosen – zwei der eher hässlichen der Menschheit bekannten Blumen, das müsst ihr zugeben – und dazu von ungefähr zweihundert Sorten Unkraut und wild gewordenem Efeu, der durch die Fliegengitter vor den Fenstern kroch. Abblätternde Farbe, das volle Programm. Er hatte alles völlig vergammeln lassen. Ganze Großfamilien von Eichhörnchen nisteten in den beiden Kaminen, und es kümmerte ihn gar nicht.

    Und eines Tages im letzten Jahr stand ich auf der Veranda und beobachtete, wie die Eichhörnchen auf dem Dach herumturnten, Vorräte für den Winter sammelten oder was auch immer Eichhörnchen so machen, und in dem Moment wurde mir etwas bewusst: Ich beneidete ihn, beneidete ihn wirklich . Ich wollte unbedingt so leben wie mein verrückter Nachbar, einfach loslassen, alles um mich herum einfach verrotten lassen. «
    Sie macht eine Pause und atmet tief und hörbar ein. Dann fährt sie ruhig fort: »Genau das habe ich gestern Abend zu Addie gesagt. Ich sagte: ›Addie, ich bin so müde. Ich bin so müde, und ich möchte einfach nur alles verrotten lassen. Ich möchte mitten in der Verwesung wohnen.‹«
    »Was hat sie geantwortet?«, fragt Cora.
    »Genau das, was man von ihr erwarten würde. ›Verwesung ist unentbehrlich. Darin wimmelt es vor Leben, das ist ein guter Ort zum Wohnen. Du solltest es ausprobieren.‹« Erneut holt Lou tief Luft und stößt sie mit einem kurzen Lachen wieder aus.
    Alle schweigen einen Augenblick, dann fragt Scarlet: »Und warum tust du es nicht? Alles loslassen, meine ich?«
    Lou sieht Scarlet nicht an, als sie antwortet. »Weil ich ihm nicht die Genugtuung geben werde, das mit anzusehen«, sagt sie. »Er würde es benutzen, um ein letztes Mal zu versuchen, an mein Erbe zu kommen.«
    Scarlet hat in den letzten Jahren immer mal wieder bruchstückhaft etwas darüber gehört – Einzelheiten über Lous und Toms unschöne, langwierige Scheidung, seine Behauptung, er brauche Zugang zu einem Anteil von Lous beträchtlichem Erbe, um es vernünftig überwachen und investieren zu können, zum Wohle ihrer gemeinsamen Töchter.
    »Tja, meine Meinung zu dem Thema kennst du«, sagt Cora,
nimmt ein Umhängetuch von einem Haken hinter sich und wickelt es um Lou, die trotz des warmen Sonnenscheins, der die Kühle des frühen Morgens verdrängt hat, zu zittern begonnen hat. »Verschenk es. Die Mädchen sind jetzt erwachsen, und du hast schon genug für sie beiseitegelegt. Nimm dir noch ein bisschen mehr für dich selbst und verschenk den Rest. Dann wärst du Ted ein für alle Mal los.« Sie setzt sich wieder hin, verschränkt die Arme vor der Brust und sieht Lou mit einem halben Lächeln an, als wüsste sie, dass dieser Vorschlag ungefährlich ist, weil Lou

Weitere Kostenlose Bücher