Die Luna-Chroniken, Band 1: Wie Monde so silbern (German Edition)
Magneten von Kai angezogen.
Dann kam eine kleine Gruppe den Gang hinunter – Königin Levana schritt neben den beiden Thaumaturgen auf ihren Platz zu. Die Königin trug einen zarten weißen Schleier bis zu den Ellenbogen, der ihr Gesicht verbarg und unter dem sie eher wie ein Phantom als wie ein königlicher Gast aussah.
Cinder schauderte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass bei einer Krönung im Staatenbund jemals Lunarier zugegen gewesen waren. Aber anstatt Levanas Anwesenheit als hoffnungsvolles Zeichen für die Zukunft zu sehen, legte sie sich schwer wie ein Stein auf ihre Seele. Denn es war offensichtlich: Levana hielt es für selbstverständlich, dass sie dort mehr zu suchen hatte als alle Erdbewohner. Als ob sie diejenige sei, die gleich gekrönt werden würde.
Die Königin und ihr Gefolge nahmen die für sie reservierten Sitze in der ersten Reihe ein. Die Gäste in ihrer Nähe versuchten ohne großen Erfolg, ihren Widerwillen zu verbergen.
Cinder zog den tropfenden Lumpen aus dem Eimer und arbeitete gegen ihre Angst an, indem sie Adris Hover auf Hochglanz polierte.
Die Krönung begann mit einem Trommelwirbel.
Prinz Kai kniete auf einer mit Seide bespannten Bühne, an der langsam eine Reihe Männer und Frauen vorbeizog. Jeder hängte ihm eine Schleife oder ein Medaillon oder einen Edelstein um den Hals – symbolische Geschenke, die für langes Leben, Weisheit, Herzensgüte, Großzügigkeit, Geduld und Freude standen. Dann zoomte die Kamera Kais Gesicht heran. Er wirkte erstaunlich gelassen und hielt die Augen gesenkt, den Kopf aber hoch erhoben.
Wie üblich war ein Vertreter aus einem der anderen fünf Staaten der Erde ausgewählt worden, um die Krönung zu leiten, zum Zeichen dafür, dass die anderen Länder den Herrschaftsanspruch des neuen Souveräns ehren und respektieren würden. Sie hatten Premierminister Bromstad aus der Europäischen Föderation ausgewählt, einen großen Blonden mit breiten Schultern. Cinder hatte schon immer gefunden, dass er eher wie ein Bauer als wie ein Politiker aussah.
Er hielt eine alte Schriftrolle vor sich erhoben, auf der alle Versprechen festgehalten waren, die Kai seinem Volk als angehender Kaiser gab.
Der Premierminister fasste die Rolle an beiden Seiten und sprach laut den Eid, den Kai wiederholte.
»Ich schwöre feierlich, die Völker des Asiatischen Staatenbundes nach den Gesetzen und Gebräuchen zu regieren, die Generationen von Herrschern festgelegt haben«, trug er vor. »Ich werde die Macht, die mir zuteilgeworden ist, nutzen, um Gerechtigkeit walten zu lassen und barmherzig zu sein, die Grundrechte aller Völker zu ehren, mit Freundlichkeit und Geduld zu regieren und um Weisheit und Ratschlag im Kreise meiner Berater und Brüder im Geiste zu ersuchen. Daran, das verspreche ich vor allen Zeugen der Erde und des Himmels, werde ich mich heute und an allen Tagen meiner Herrschaft halten.«
Cinders Herz klopfte, als sie den Hover schrubbte. Sie hatte Kai noch nie so ernst gesehen, noch nie so schön. Sie bangte mit ihm, denn sie wusste, wie nervös er sein musste, aber in diesen Augenblicken war er nicht der Prinz, der ihr eine kaputte Androidin gebracht oder sie im Aufzug fast geküsst hatte.
Er war ihr Kaiser.
Premierminister Bromstad hob das Kinn. »Hiermit erkläre ich Euch zu Kaiser Kaito des Asiatischen Staatenbundes. Lang lebe Seine Kaiserliche Majestät.«
Die Menge brach in Jubel aus und skandierte fröhlich: »Lang lebe der Kaiser!«, als Kai sich zu seinem Volk umwandte.
Ob er sich über seine Krönung freute, ließ er nicht erkennen. Sein Gesichtsausdruck war neutral, sein Blick reserviert, wie er da auf dem Podium stand und der Applaus der Menge ihn umtoste.
Nachdem er die Lobpreisungen eine ganze Weile gelassen entgegengenommen hatte, wurde ein Pult für die erste Rede des Kaisers auf die Bühne gebracht. Die Menge verstummte.
Cinder schüttete Wasser über das Fahrzeug.
Kai stand einen Moment mit ausdruckslosem Gesicht da, starrte auf den Bühnenrand und stützte sich an den Seiten des Pults ab. »Es ist mir eine Ehre«, begann er, »dass meine Krönung mit unserem höchsten Feiertag zusammenfällt. Vor 126 Jahren wurde der Albtraum und die Katastrophe des Vierten Weltkriegs mit der Geburt des Asiatischen Staatenbundes beendet. Er erwuchs aus der Vereinigung vieler Völker, Kulturen und Ideale, gestärkt durch den anhaltenden Glauben, dass wir als Volk zusammen stark sind. Wir können uns trotz unserer Unterschiede lieben. Uns
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