Die Luna-Chroniken, Band 1: Wie Monde so silbern (German Edition)
selbst gebauten Krücken, die sich in ihre Achseln bohrten, und mit der Kuriertasche, die ihr immer wieder gegen die Hüfte schlug, verfluchte sie ihre Stiefmutter bei jedem humpelnden Schritt.
Eigentlich hatte Cinder es nicht eilig, nach Hause zu kommen. Sie konnte sich überhaupt nicht vorstellen, bei welchen Vorbereitungen sie Pearl helfen sollte, und war sich sicher, dass sie sie damit nur quälen wollten. Nur noch ein Abend Knechtschaft. Ein letzter Abend.
Dieser Gedanke trieb sie an.
Als sie den Wohnblock schließlich erreichte, war es in den Fluren gespenstisch leise. Die Leute waren entweder unten beim Fest oder machten sich fertig für den Ball. Statt des üblichen Geschreis hörte man heute Abend hinter den geschlossenen Türen nur Gekicher.
Cinder nahm die Krücken aus den schmerzenden Achseln und stützte sich bis zur Wohnung an der Wand ab.
Beim Eintreten kam es ihr so vor, als sei die Wohnung leer, aber dann hörte sie die Böden knarren, auf denen Adri und Pearl aufgeregt hin und her liefen. Vielleicht gelang es ihr ja, die beiden den ganzen Abend nicht zu Gesicht zu bekommen. Sie hinkte in ihr Kabuff und schloss die Tür hinter sich. Sie überlegte gerade, ernsthaft mit dem Packen zu beginnen, als es an der Tür klopfte.
Seufzend öffnete sie. Es war Pearl in ihrem goldenen Kleid aus Seide und Zuchtperlen und mit einem Dekolleté, das so tief ausgeschnitten war, wie Adri es verlangt hatte.
»Hättest du nicht noch etwas langsamer nach Hause kommen können?«, fragte sie. »Wir gehen los, sowie die Krönung vorbei ist.«
»Klar hätte ich schneller kommen können, wenn mir nicht jemand einen Fuß weggenommen hätte.«
Pearl sah sie finster an, trat in den Flur zurück, drehte sich, so dass sich der Rock um die Knöchel bauschte, und fragte: »Wie findest du es, Cinder? Wird der Prinz mich jetzt beachten?«
Cinder musste an sich halten, um sich nicht ihre dreckigen Hände an dem Kleid abzuwischen. Stattdessen zog sie die Arbeitshandschuhe aus und steckte sie in die Tasche. »Brauchst du mich für irgendwas?«
»Ja. Ich wollte dich um deine Meinung bitten.« Pearl hob den Rock und zeigte ihr zwei unterschiedliche Schuhe an ihren winzigen Füßen. Am linken trug sie einen kleinen Samtstiefel von der Farbe frischer Milch, der über dem Knöchel geschnürt wurde. Am rechten funkelte eine goldene Sandale, die mit Riemchen und winzigen herzförmigen Anhängern zugeknüpft wurde. »Da du dem Prinzen so nahestehst, wollte ich dich fragen, ob er wohl eher die goldenen oder die weißen Schuhe vorziehen würde.«
Cinder tat, als würde sie nachdenken. »In den Stiefeln sehen deine Knöchel dick aus.«
Pearl feixte. »Dein Knöchel sieht wegen der Metallplatten dick aus. Du bist einfach nur neidisch, dass ich so hübsche Füße habe.« Sie seufzte, als täte es ihr wirklich leid. »Wie schade, du wirst solche Freuden wohl niemals kennenlernen!«
»Freut mich, dass du an deinem Körper wenigstens etwas Hübsches findest.«
Mit einem selbstgefälligen Grinsen warf Pearl die Haare zurück. Sie wusste, dass Cinders Bemerkung nicht stimmte, und Cinder war irritiert, weil es ihr gar keinen Spaß machte zu sticheln.
»Ich habe meine Unterhaltung mit Prinz Kai schon geübt«, sagte Pearl. »Ich will ihm nämlich alles sagen.« Sie tänzelte hin und her, und ihr Rock schimmerte im Licht. »Erst werde ich ihm alles über deine hässlichen Metallgliedmaßen erzählen und wie peinlich du bist – was für eine ekelerregende Kreatur sie aus dir gemacht haben. Und dann sorge ich dafür, dass er bemerkt, wie viel begehrenswerter ich bin.«
Cinder lehnte sich gegen den Türrahmen. »Ich wünschte, ich hätte schon früher von deiner Schwärmerei für ihn erfahren, Pearl. Weißt du, bevor Peony gestorben ist, hat Seine Hoheit mir das Versprechen gegeben, dass er heute Nacht mit ihr tanzen würde. Ich hätte ihn auch um einen Tanz für dich bitten können, aber dafür ist es jetzt wohl zu spät. Wie schade.«
Pearl wurde rot. »Wehe, du sprichst ihren Namen noch einmal aus«, zischte sie heiser.
Cinder blinzelte. »Peonys?«
Pearls Wut stand im scharfen Gegensatz zu den kindischen Sticheleien. »Ich weiß, dass du sie getötet hast. Alle wissen, dass es deine Schuld war.«
Cinder starrte sie an, der plötzliche Wechsel zu diesem ernsten Ton brachte sie völlig aus dem Konzept. »Das stimmt nicht. Ich war nie krank.«
»Es ist deine Schuld, dass sie auf dem Schrottplatz war. Da hat sie sich
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