Die Luna-Chroniken, Band 1: Wie Monde so silbern (German Edition)
brannte wie Feuer auf Cinders Haut. Sie starrte an sich herab, auf die silberne Korsage, die mit feiner Spitze eingefasst war, den weiten Rock, die zierlichen Perlen, und wäre am liebsten im Boden versunken. Das war kein Kleid für sie. Sie fühlte sich wie eine Schwindlerin, eine Hochstaplerin.
Aber dass es so zerknittert war wie das Gesicht eines alten Mannes, das gefiel ihr.
Sie schnappte sich den Fuß vom Tisch – das kleine, rostige Ding, mit dem sie nach ihrer Operation aufgewacht war, damals, als sie noch ein verwirrtes, ungeliebtes elfjähriges Mädchen gewesen war. Sie hatte sich eigentlich geschworen, ihn nie wieder anzulegen, aber in diesem Moment kam er ihr so kostbar vor, als sei er aus Kristall. Außerdem war er klein genug, um in Pearls Stiefel zu passen.
Cinder ließ sich auf den Stuhl fallen und zog einen Schraubenzieher hervor. Es war die schnellste Montage, die sie je durchgeführt hatte, und der Fuß war noch kleiner und unbequemer, als sie ihn in Erinnerung hatte, aber immerhin stand sie wieder auf zwei Beinen.
Die Seidenhandschuhe fühlten sich zu fein, zu zart und so hauchdünn an, dass sie Angst hatte, mit ihnen an irgendeiner Schraube hängenzubleiben. Wenigstens waren sie ölverschmiert – alles in allem ein provozierendes Auftreten.
Sie war eine wandelnde Katastrophe, und sie wusste es. Sie hätte Glück, wenn sie überhaupt eingelassen wurde.
Aber darum würde sie sich kümmern, wenn es so weit war.
Nach einem kurzen Abstecher in die Wohnung fuhr sie im leeren Fahrstuhl hinunter in die Parkgarage. Dort stöckelte sie unsicher in Pearls hohen Stiefeln über den Zementboden zu dem herrenlosen Fahrzeug. Sie musste ständig darauf achten, nicht über den zu kleinen Fuß zu stolpern und sich den Knöchel zu verstauchen, und spürte, dass er zu locker an ihrem Bein saß. Sie hatte keine Zeit gehabt, ihn an ihr Nervensystem anzuschließen, deswegen fühlte sie sich, als schleifte sie einen Stein hinter sich her. Sie versuchte, das zu ignorieren und nur an Kais Verlautbarung zu denken.
Sie schwitzte schon vor Anstrengung, als sie die dunkelste Ecke der Garage erreicht hatte. Das konnte ja lustig werden in der drückend schwülen Hitze der Stadt. Das Auto stand eingequetscht zwischen zwei schnittigen, chromverspiegelten Hovern. Die schreckliche Farbe leuchtete matt im flackernden Licht der Garage. Es gehörte nicht hierher.
Cinder verstand genau, wie es dem Auto ging.
Sie glitt auf den Fahrersitz, mitten hinein in den schimmeligen Müllgestank. Wenigstens hatte sie die Polster ersetzt und eine saubere Decke auf die Sitze gelegt, also brauchte sie sich keine Sorgen zu machen, auf Rattendreck zu sitzen. Aber sie konnte sich schon lebhaft vorstellen, wie Peonys Kleid bei ihrer Ankunft aussehen würde.
Sie schob die Gedanken beiseite und suchte unter dem Lenkrad nach den Drähten, die sie schon freigelegt und vorbereitet hatte. Sie griff nach dem braunen Zündkabel.
Mit angehaltenem Atem hielt sie die Drähte aneinander.
Nichts geschah.
Ein Schweißtropfen rollte ihre Kniekehle hinab. Sie versuchte noch einmal, die Drähte kurzzuschließen. Und noch einmal. »Bitte, bitte, bitte.«
Plötzlich funkte es und der Motor brummte zögernd auf.
»Ja!« Sie trat aufs Gaspedal, ließ den Motor aufheulen und spürte das grollende Brummen des Autos.
Cinder seufzte erleichtert, dann drückte sie das Kupplungspedal hinunter und legte einen Gang ein, wobei sie die Anweisungen, wie man fuhr, die sie vor einer Woche heruntergeladen und seitdem auswendig gelernt hatte, laut vor sich hersagte.
Am schwierigsten war es, das Auto aus der Garage heraus zu manövrieren. Als sie auf der Straße war, wurde ihr der Weg von den Solarlaternen und dem gelben Schimmer aus den Wohnungen gewiesen – ohne das Licht der Stadt wäre sie verloren gewesen, denn die Scheinwerfer des Autos waren vor Ewigkeiten herausgebrochen worden. Cinder war überrascht, wie steinig die Straßen waren und wie viel Müll herumlag, denn Hover brauchten ja keine glatte Asphaltdecke. Obwohl sie auf der holprigen Fahrt ziemlich durchgeschüttelt wurde, fühlte Cinder sich mit jeder Bewegung des Lenkrades, mit jedem Heruntertreten des Gaspedals, jedem Einlegen eines anderen Gangs, selbst beim Quietschen der Reifen freier und mächtiger.
Eine warme Brise wehte von hinten herein, wo eine Fensterscheibe fehlte, und zerzauste Cinders Haare. Die Wolken hatten die Stadt erreicht – sie hingen drohend über den Wolkenkratzern und warfen
Weitere Kostenlose Bücher