Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Luna-Chroniken, Band 1: Wie Monde so silbern (German Edition)

Die Luna-Chroniken, Band 1: Wie Monde so silbern (German Edition)

Titel: Die Luna-Chroniken, Band 1: Wie Monde so silbern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marissa Meyer
Vom Netzwerk:
ein graues Leichentuch über den Abend. Auf Cinders anderer Seite war der Himmel noch unbewölkt und präsentierte stolz den neunten Vollmond des Jahres, eine vollkommen runde Kugel am schwarzen Himmel. Ein weißes, unheilvolles Auge, das sie völlig in seinen Bann zog. Cinder trat das Gaspedal durch und das Auto beschleunigte, als ob es gleich losfliegen wollte.
    Und es flog wirklich. Nicht ruhig und elegant wie ein Hover, sondern eher röhrend und kraftvoll wie eine wilde Bestie. Vor Stolz konnte sie sich ein triumphierendes Grinsen nicht verkneifen. Sie hatte dieses Monster zum Leben erweckt. Das Auto schuldete ihr etwas, und das schien es zu wissen.
    Sie hätte es schaffen können, dachte sie, als der Palast auf der zerklüfteten Klippe über der Stadt in Sicht kam. Jetzt wäre sie schon an der Stadtgrenze, hätte richtig Fahrt aufgenommen und die Lichter an sich vorbeiziehen lassen. Wäre auf den Horizont zugerast und hätte sich nicht einmal umgedreht.
    Die ersten Regentropfen fielen auf die gesprungene Windschutzscheibe.
    Cinder umklammerte das Lenkrad fester, als sie der gewundenen Straße zum Eingang des Palastes folgte. Kein einziger Hover war mehr auf der Straße – sie würde wohl der letzte Gast sein.
    Sie fuhr den Hügel hinauf und genoss den Rausch der Flucht, der Freiheit, der Macht – bis ein sturzflutartiger Regen einsetzte. Der Regen durchnässte das Auto und ließ die Lichter des Palastes verschwimmen. Er trommelte gegen Metall und Glas. Ohne Scheinwerferlicht löste sich die Welt jenseits der Windschutzscheibe auf.
    Cinder trat das Bremspedal durch.
    Nichts passierte.
    Panik überkam sie, als sie verzweifelt versuchte, das blockierte Bremspedal durchzutreten. Vor ihr türmte sich etwas großes Schwarzes auf. Cinder schrie auf und schlug die Hände vors Gesicht.
    Das Auto raste gegen einen Kirschbaum. Cinder kam mit einem Ruck zum Stehen. Um sie herum barst Metall. Der Motor stotterte und verstummte dann endgültig. Der Gurt spannte sich viel zu fest über ihre Brust.
    Zitternd starrte Cinder in den Sturm, der vor der Windschutzscheibe tobte. Nasse, rotbraune Blätter fielen von den Ästen und klebten an der Scheibe. Sie erinnerte sich daran, dass sie Luft holen musste, während das Adrenalin durch ihre Adern jagte. Ihr Steuerelement sah den folgenden weiteren Aktionsverlauf vor: atme tief und regelmäßig ein und aus. Aber das Atmen brachte sie ebenso wie der enge Gurt zum Würgen, bis sie mit bebender Hand den Gurt ausklinkte.
    Durch ein Leck in der Fensterdichtung tropfte Regen auf ihre Schulter.
    Cinder lehnte den Kopf gegen die Kopfstütze und fragte sich, ob sie genug Kraft zum Laufen hatte. Vielleicht wäre es am besten, wenn sie den Monsun einfach hier drinnen abwarten würde. Sommerstürme dauerten nie besonders lange, bald würde es nur noch nieseln.
    Sie betrachtete ihre klatschnassen Handschuhe und fragte sich, worauf sie eigentlich wartete. Sie war weder eitel, noch wollte sie seriös erscheinen. Durchnässt zu sein, konnte ihr Outfit jetzt eigentlich nur noch aufwerten.
    Sie holte tief Luft, zog am Türgriff und trat mit dem Stiefel gegen die Tür, damit sie aufging. Platzregen empfing sie. Das Wasser war kühl und erfrischend auf ihrer Haut. Sie knallte die Tür zu, strich das Haar aus der Stirn und begutachtete den Schaden.
    Der vordere Teil des Autos war um den Baumstamm gewickelt, die Motorhaube wie ein Akkordeon über den Kotflügel der Beifahrerseite gefältelt. Ihr brach das Herz, als sie das Wrack sah – die ganze harte Arbeit, so schnell zerstört.
    Und – dieser Gedanke kam ihr eine Sekunde später – das war ihre Fluchtmöglichkeit gewesen. Aus und vorbei.
    Sie stand zitternd im Regen und schob die Gedanken beiseite. Es gab ja noch andere Autos. Jetzt musste sie Kai finden.
    Plötzlich spürte sie keinen Regen mehr auf ihrer Haut. Sie bemerkte einen Schirm über sich und drehte sich um. Ein Mann vom Empfangskomitee glotzte das Autowrack mit runden Augen an, während er den Schirm über sie hielt.
    »Oh, hallo«, stammelte Cinder.
    Ungläubig musterte der Mann sie. Ihre Haare, das Kleid. Er sah mit jeder Sekunde abgestoßener aus.
    Cinder schnappte sich den Schirm und schenkte ihm ein Lächeln. »Danke!«, rief sie und flitzte über den Schlosshof auf die weit geöffneten Flügeltüren des Palastes zu, wo sie den Schirm auf den Stufen fallen ließ.
    Wächter in purpurroten Uniformen säumten die Flure und winkten die Besucher von den Aufzügen zu dem Ballsaal im

Weitere Kostenlose Bücher