Die Luna-Chroniken, Band 1: Wie Monde so silbern (German Edition)
entschuldigen.
Sie konzentrierte sich aufs Gehen, machte einen Schritt nach dem anderen, während sich die Menge vor ihr teilte und hinter ihr wieder schloss.
Aber bevor sie den Kaiser erreichte, drängelte sich ihr jemand in den Weg. Cinder erstarrte beim Anblick ihrer zornigen Stiefmutter.
Sie war wie vor den Kopf geschlagen, als die Wirklichkeit in den stillen Augenblick hereinbrach. Sie hatte Adri und Pearl vollkommen vergessen.
Unter Adris feinem weißem Make-up zeichneten sich rote Wangenflecken ab, und ihre Brust hob und senkte sich unter dem bescheidenen Dekolleté ihres Kimonos. Das Lachen erstarb und die weiter hinten Stehenden fragten sich, was geschah, denn im Saal knisterte es vor Spannung.
Adri zerrte an Cinders Rock und schüttelte den Stoff. »Wo hast du das her?«, zischte sie, als habe sie Angst, noch eine größere Szene zu machen als Cinder.
Cinder hob das Kinn, trat zurück und entriss ihrer Stiefmutter das Kleid. »Iko hat es aufgehoben. Peony hätte gewollt, dass ich es anziehe.«
Pearl schnaubte hinter vorgehaltener Hand und starrte entsetzt auf Cinders Füße.
Cinder erschauerte bei der Vorstellung, dass ihr Cyborg-Bein für alle zu sehen war, bis Pearl auf ihre Füße zeigte und schrie: »Meine Stiefel! Das sind meine Stiefel! Und sie hat sie an!«
Adris Augen wurden schmal. »Du kleine Diebin. Wie kannst du es wagen, hierherzukommen und uns zum Gespött der Leute zu machen?« Sie deutete über Cinders Schulter auf die Prunktreppe. »Ich befehle dir, auf der Stelle nach Hause zu gehen, bevor du mich weiter blamierst.«
»Nein«, sagte Cinder mit geballten Fäusten. »Ich habe genau so ein Recht, hier zu sein, wie du.«
»Was? Du?« Adri wurde lauter. »Aber du bist nur ein Cy…« Sie unterbrach sich, selbst jetzt wollte sie das furchtbare Geheimnis ihrer Stieftochter nicht lüften. Stattdessen holte sie mit flacher Hand zu einem Schlag aus.
Die Menge wurde unruhig; Cinder duckte sich – aber der Schlag blieb aus.
Kai stand neben ihrer Stiefmutter und hielt ihr Handgelenk fest. Adri wandte sich mit wutverzerrtem Gesicht zu ihm um, aber als sie ihn erkannte, setzte sie schnell eine andere Miene auf.
Sie wurde ganz klein und stammelte: »Eure Majestät!«
»Das langt«, sagte er freundlich, aber bestimmt und ließ sie los. Adri sank nickend in einen jämmerlichen Hofknicks.
»Es tut mir so leid, Eure Majestät. Mein Temperament … dieses Mädchen ist … es tut mir leid wegen der Störung … sie ist mein Mündel … sie sollte überhaupt nicht hier sein …«
»Selbstverständlich sollte sie hier sein!« Er schien zu glauben, allein durch seine Anwesenheit könnte er Adris Feindseligkeit in Luft auflösen, und sah Cinder tief in die Augen. »Sie ist mein Ehrengast.«
Er sah über die Köpfe der geschockten Zuhörer hinweg zur Bühne, wo das Orchester verstummt war. »In dieser Nacht wird gefeiert. Wir wollen uns amüsieren«, sagte er laut. »Bitte, tanzen Sie weiter!«
Die Kapelle setzte wieder ein, zunächst noch zögernd, und Musik erfüllte den Ballsaal – Cinder konnte sich nicht daran erinnern, wann sie ausgesetzt hatte, aber ihr Gehör war noch immer abgeschottet gegen den Lärm um sie herum.
Kai sah sie wieder an. Sie schluckte und bemerkte, dass sie zitterte – vor Ärger, Angst und Anspannung. Und weil er sie mit seinen braunen Augen gefangen nahm. Ihr Kopf war leer, sie wusste nicht, ob sie sich bei ihm bedanken oder sich von ihm abwenden sollte, um ihre Stiefmutter anzuschreien, aber er ließ sie weder das eine noch das andere tun.
Er nahm sie bei der Hand, und ehe sie wusste, wie ihr geschah, hatte er sie in den Arm genommen und von ihrer Stiefmutter und Stiefschwester weggeführt.
Sie tanzten.
Mit klopfendem Herzen löste Cinder den Blick von ihm und sah über seine Schulter.
Sie waren die Einzigen, die tanzten.
Das musste auch Kai aufgefallen sein, denn er ließ ihre Taille los und gestikulierte zur gaffenden Menge hinüber. In einem Ton, der halb ermunternd und halb befehlend war, sagte er: »Bitte, Sie sind meine Gäste. Genießen Sie die Musik.«
Betreten tauschten die Umstehenden Blicke mit ihren Tanzpartnern, und bald wogten auf der Tanzfläche raschelnde Kleider und fliegende Rockschöße. Cinder riskierte einen Blick auf Adri und Pearl, die stocksteif inmitten der tanzenden Menge standen und zusahen, wie Kai Cinder gekonnt von ihnen wegführte.
Kai murmelte: »Du kannst überhaupt nicht tanzen, stimmt’s?«
Cinder sah ihn an, in
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