Die Luna-Chroniken, Band 1: Wie Monde so silbern (German Edition)
doch mehr verletzt hat, als ich gedacht hatte. Ich hatte mich für Euren einzigen Ehrengast gehalten.« Wieder betrachtete sie Cinder. »Ihr könnt sie nicht im Ernst hübscher finden als mich.« Mit dem Fingernagel fuhr sie an Kais Kinn entlang. »Mein Lieber, werdet Ihr etwa rot?«
Kai schlug Levanas Hand weg, aber bevor er antworten konnte, wandte sie sich Cinder zu und sah sie abschätzig an. »Wie heißt du, Kind?«
Cinder schluckte mit Mühe, kaum konnte sie ihren Namen aussprechen. »Cinder.«
»Cinder.« Ein herablassendes Lachen. »Wie passend. Das klingt nach Asche, Dreck und Unrat.«
»Das reicht …«, begann Kai, aber Levana fegte mit rauschender Robe an ihm vorbei. Ironisch hielt sie ihr Weinglas in die Höhe, als wollte sie dem Prinzen für die angenehme Abendgesellschaft danken.
»Sag mal, Cinder«, fuhr sie fort, »welchem armen Erdbewohner hast du diesen Namen gestohlen?«
Cinder fasste sich ans Handgelenk, an den schimmernden silbernen Handschuh über dem Fleisch, das ihren ID-Chip verdeckte und von dem schmalen Einschnitt kaum noch schmerzte. Ihr Magen war steinhart.
Die Königin schnaubte. »Ihr Hüllen«, sagte sie und ihre Stimme erhob sich über die Menge, »ihr denkt, ihr wärt furchtbar clever. Du hast einem toten Erdenbewohner den Chip aus dem Handgelenk gestohlen und dann ist es dir gelungen, dich in die Gesellschaft einzuschleusen. Und jetzt denkst du, du würdest als menschlich durchgehen und könntest hier einfach so leben. Falsch gedacht.«
Cinder biss die Zähne aufeinander, sie wollte erklären, dass sie sich an nichts als an die Erde erinnerte – und daran, ein Cyborg zu sein. Aber wem wollte sie das erklären? Doch nicht der Königin. Und Kai … Kai sah völlig verwirrt zwischen der Königin und ihr hin und her und versuchte wahrscheinlich gerade, Levanas Worte wie Puzzlesteine in seinem Kopf zu einem Bild zusammenzulegen.
Die Königin wandte sich wieder an den Kaiser. »Ihr nehmt Lunarier nicht nur auf, Ihr pflegt auch noch den Umgang mit ihnen. Ich bin enttäuscht von Euch, Eure Majestät.« Sie schnalzte mit der Zunge. »Die Tatsache, dass dieses Mädchen innerhalb Eurer Grenzen lebt, beweist, dass Ihr gegen die Interplanetarische Vereinbarung verstoßt. Ich nehme die unverhohlene Missachtung dieser Vereinbarung sehr ernst, Kaiser Kaito. Sie könnte sogar eine Kriegserklärung rechtfertigen. Ich bestehe darauf, dass diese Verräterin gefangen genommen und nach Luna gebracht wird. Jacin?«
Ein zweiter Wächter der Königin trat aus der Menge vor, so gut aussehend wie die anderen, mit langen blonden Haaren und ernsten, eisblauen Augen. Ohne Vorwarnung packte er Cinders Handgelenke und drehte sie auf ihren Rücken. Sie keuchte und sah verzweifelt in die Menge, aus der vereinzelt erschrockene Schreie zu hören waren.
»Stopp!« Kai lief zu Cinder und nahm sie am Ellenbogen. Er zog sie zu sich heran, und sie stolperte auf ihn zu, aber der Wächter ließ sie nicht los.
Er zog sie wieder zurück und Kais Hand rutschte an dem glatten Stoff der Seidenhandschuhe ab. Cinder klebte regelrecht an der muskulösen Brust des Lunariers. Sie hörte ein leises Summen, als ob ihre Haare statisch aufgeladen wären.
Sein Zauber, klar. Bioelektrizität, die leise in ihm summte. Konnte das jeder in der Nähe hören oder war das ein weiteres Zeichen ihrer erwachenden Gabe?
»Lassen Sie sie frei!«, sagte Kai an die Königin gewandt. »Das ist doch absurd. Sie ist kein Flüchtling und auch keine Lunarierin. Sie ist einfach nur eine Mechanikerin.«
Levana zog eine schmale Augenbraue hoch. Ihre glitzernden Augen starrten Cinder direkt an, an Kai vorbei, mit zugleich schöner und grausamer Miene.
Cinders Rückgrat wurde warm, noch wärmer, schließlich heiß. Sie fürchtete einen Zusammenbruch. Die Schmerzen würden wiederkommen, sie würde zusammenbrechen und zu nichts mehr fähig sein.
»Nun, Cinder?«, sagte Königin Levana und ließ den Wein im Glas kreisen. »Wie es scheint, hast du Geheimnisse vor Mitgliedern des Hofes. Oder willst du mir widersprechen?«
Kai wandte sich zu ihr um, und sie spürte seine Verzweiflung, obwohl sie ihn nicht ansehen konnte. Sie konzentrierte sich hasserfüllt auf die Königin.
Cinder war froh, dass sie wenigstens nicht vor Erniedrigung weinen konnte. Froh, dass sie nicht durchs Rotwerden ihre Wut verriet. Froh, dass ihr verhasster Cyborg-Körper wenigstens dafür taugte, während sie sich krampfhaft am letzten Rest ihrer Würde festhielt. Sie sah
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