Die Luna-Chroniken, Band 1: Wie Monde so silbern (German Edition)
die Königin mit stechendem Blick an.
Durch den erhöhten Adrenalinspiegel und rasenden Puls begann ihr Netzhaut-Display verrücktzuspielen. Warnungen blinkten auf, aber sie ignorierte sie mit einer Ruhe, die sie überraschte.
»Hätte man mich nicht zur Erde gebracht«, sagte sie, »so wäre ich jetzt eine Sklavin unter Eurer Herrschaft. Ich entschuldige mich nicht für meine Flucht.«
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Kai der Unterkiefer herunterklappte und sich seine Augen weiteten. Aber die Wahrheit ließ sich nicht mehr leugnen. Er hatte mit einer Lunarierin geflirtet.
Ein Schrei gellte aus der fassungslosen Menge. Ein lauter Seufzer, ein dumpfer Aufschlag. Adri war in Ohnmacht gefallen.
Cinder schluckte und richtete sich auf.
»Ich will keine Entschuldigung«, sagte Levana und lächelte sie bösartig an. »Ich will einfach nur den Fehler deiner Existenz behoben sehen, zügig und ohne Umschweife.«
»Ihr wollt mich tot sehen.«
»Wie schlau sie ist. Ja, genau. Und nicht nur dich, sondern euch alle. Ihr Hüllen seid eine Gefahr für die Gesellschaft, eine Bedrohung unserer vollkommenen Kultur.«
»Weil Ihr uns keiner Gehirnwäsche unterziehen könnt, damit wir Euch verehren, so wie alle anderen?«
Die Lippen der Königin spannten sich und wurden hart wie Stein. Ihre Stimme wurde leise, Kälte breitete sich im Saal aus. Ein Windstoß rüttelte an den Fenstern hinter ihr.
»Es geht nicht nur um mein Volk, sondern auch um die Bewohner der Erde. Ihr Hüllen seid eine Pest.« Sie machte eine Pause und sah aus, als würde sie loslachen. »Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, wie es scheint.«
»Meine Königin«, sagte die dunkelhaarige Frau, »bezieht sich auf das Blaue Fieber, das so verheerend unter Euren Bürgern gewütet hat. Und selbstverständlich auch in Eurer königlichen Familie … Kaiser Rikan ruhe in …«
»Was hat das damit zu tun?«, fragte Kai.
Die Frau ließ die Hände in den glockenförmigen Ärmeln ihres elfenbeinfarbenen Mantels verschwinden. »Haben Eure brillanten Wissenschaftler das denn noch nicht herausgefunden? Viele Lunarier ohne Zauber sind Überträger der Letumose. Sie haben sie auf die Erde gebracht und verbreiten sie immer noch, ohne Rücksicht auf die Menschen, die sie töten.«
Cinder schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie. Kai sah sie an und trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Sie schüttelte den Kopf noch heftiger. »Sie wissen ja nicht, dass sie es tun. Woher auch? Und selbstverständlich haben die Wissenschaftler das schon herausgefunden, aber was sollen sie denn machen, außer nach einem Gegenmittel zu suchen?«
Die Königin lachte scharf. »Ihre Verteidigung ist Unwissenheit? Wie banal. Du musst der Wahrheit ins Auge sehen: Du solltest tot sein. Es wäre für alle das Beste.«
»Und nur fürs Protokoll«, sagte Cinder lauter, »ich bin keine Hülle.«
Die Königin grinste. Sie war nicht überzeugt.
»Das reicht jetzt«, sagte Kai. »Mir ist egal, wo sie geboren wurde. Cinder ist eine Bürgerin des Staatenbundes. Ich dulde nicht, dass sie verhaftet wird.«
Levana wandte ihren Blick nicht von Cinder. »Flüchtlinge zu beherbergen, ist ein Kriegsgrund, junger Kaiser. Ihr wisst das.«
Vor Cinders Augen wurde es dunkel, als ihre Netzhaut ein unsinniges Diagramm in ihr Sichtfeld schob. Fluchend kniff sie die Augen zusammen. Dies war nicht der richtige Augenblick für eine Funktionsstörung.
»Aber vielleicht«, sagte die Königin, »können wir zu einer Einigung kommen.«
Cinder öffnete die Augen. Der dunkle Film blieb, aber das verworrene Diagramm war verschwunden. Sie sah gerade noch, wie die Königin ihren Mund grausam verzerrte.
»Dieses Mädchen scheint zu glauben, dass Ihr sie liebt, und ich gebe Euch die Möglichkeit, das zu beweisen.« Kokett schlug sie die Wimpern nieder. »Also sagt, Eure Majestät, seid Ihr bereit für einen Handel?«
36
»Ein Handel?«, fragte Kai. »Um ihr Leben?«
»Willkommen in der Welt der Politik.« Levana nahm einen Schluck Wein. Ihre blutroten Lippen hinterließen keinen Abdruck auf dem Glas.
»Dies ist weder die richtige Zeit noch der richtige Ort für eine solche Unterhaltung«, sagte Kai mit kaum verhohlenem Ärger.
»Nein? Mir scheint, unsere Unterhaltung geht jeden Einzelnen hier im Saal etwas an. Schließlich wollt Ihr Frieden. Ihr wollt Sicherheit für Eure Bürger. Äußerst vortreffliche Ziele.« Ihr Blick kehrte zu Cinder zurück. »Und Ihr wollt dieses glücklose Wesen retten. So sei
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