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Die Luna-Chroniken, Band 1: Wie Monde so silbern (German Edition)

Die Luna-Chroniken, Band 1: Wie Monde so silbern (German Edition)

Titel: Die Luna-Chroniken, Band 1: Wie Monde so silbern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marissa Meyer
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ihr Gehirn sie zwang, sich in einem Akt von Cyborg-Selbsterhaltung herunterzufahren.

7
    Dr. Dmitri Erland fuhr mit dem Finger über den Portscreen und überflog die Akte des Patienten. Männlich. Zweiunddreißig Jahre alt. Ein Kind, aber keine Erwähnung einer Ehefrau. Arbeitslos. Wurde nach einem Arbeitsunfall vor drei Jahren zum Cyborg und hatte bestimmt den Großteil seiner Ersparnisse für die Operation ausgegeben. Er war den ganzen Weg aus Tokio gekommen.
    Er hatte so viele Rückschläge einstecken müssen, die Dr. Erland niemandem erklären konnte. Er streckte die Zunge raus, dann schnalzte er missbilligend.
    »Was meinen Sie, Doktor?«, fragte die Assistentin vom Dienst, ein dunkelhäutiges Mädchen, deren Namen er immer vergaß und die bestimmt zehn Zentimeter größer war als er. Er teilte ihr gerne Aufgaben zu, die sie im Sitzen erledigen konnte.
    Dr. Erland holte tief Luft und pustete sie auf einmal heraus, dann sah er sich das Diagramm vom Körper des Patienten an. Er war nur zu 6,4 Prozent ersetzt worden – sein rechter Fuß, etwas Verkabelung, ein Steuerelement so groß wie ein Daumennagel, eingelassen in seinen Oberschenkel.
    »Zu alt«, sagte er und warf den Port auf die Arbeitsfläche unter dem Beobachtungsfenster. Der Patient lag hinter dem Glas auf einem Labortisch. Er hätte friedlich ausgesehen, wenn er nicht wie verrückt mit den Fingern auf die Plastikkissen getrommelt hätte. Er war barfuß, transplantierte Haut bedeckte seine Prothese.
    »Zu alt?«, fragte die Assistentin. Sie stand auf und hielt ihm ihren Portscreen unter die Nase. »Jetzt ist zweiunddreißig schon zu alt?«
    »Wir können ihn nicht nehmen.«
    Sie verzog das Gesicht. »Doktor, dies wäre die sechste eingezogene Testperson, die Sie in diesem Monat wegschicken. Das können wir uns nicht mehr lange leisten.«
    »Er hat ein Kind. Einen Sohn. Hier steht es.«
    »Na und, sein Sohn kann sich heute Abend etwas zu essen kaufen, weil sein Daddy Glück hatte und in unser Testpersonen-Raster passt.«
    »In unser Raster passt? Mit 6,4 Prozent?«
    »Besser, als Menschen zu testen.« Sie ließ den Portscreen neben ein Tablett mit Petrischalen fallen. »Sie wollen ihn wirklich laufenlassen?«
    Dr. Erland warf einen wütenden Blick in den Quarantäneraum und knurrte etwas vor sich hin. Er straffte die Schultern und glättete den Laborkittel. »Geben Sie ihm ein Placebo.«
    »Place… Aber er ist doch nicht krank!«
    »Ja, aber wenn wir ihm nichts geben, wird sich der Schatzmeister wundern, was wir hier unten machen. Also, Sie verabreichen ihm ein Placebo und schreiben einen Bericht, damit er wieder rauskommt.«
    Wütend schnappte die Assistentin sich ein etikettiertes Glasfläschchen vom Regal. »Ich frage mich langsam auch, was wir hier unten machen.«
    Dr. Erland hielt einen Finger hoch, aber das Mädchen sah ihn so irritiert an, dass er vergaß, was er sagen wollte.
    »Wie heißen Sie noch mal?«
    Sie rollte mit den Augen. »Im Ernst. Seit vier Monaten assistiere ich Ihnen jeden Montag.«
    Sie wandte ihm den Rücken zu und warf den langen schwarzen Zopf zurück. Stirnrunzelnd sah Dr. Erland zu, wie der Zopf sich langsam hob und ihn drohend anzischte. Bereit zum Angriff.
    Er kniff die Augen zusammen und zählte bis zehn. Als er sie wieder öffnete, war der Zopf nur noch ein Zopf aus glänzendem schwarzem Haar. Harmlos.
    Er nahm die Schirmmütze ab und rubbelte sich die grauen Haare, die so viel dünner als die seiner Assistentin waren.
    Seine Visionen verschlimmerten sich.
    Die Labortür öffnete sich. »Doktor?«
    Er schreckte zusammen und setzte die Mütze wieder auf. »Ja?«, sagte er und griff nach seinem Portscreen. Li, einer seiner anderen Assistenten, blieb in der Tür stehen, die Hand auf der Klinke. Dr. Erland hatte Li schon immer gemocht – er war zwar auch groß, aber nicht so groß wie das Mädchen.
    »In 6d wartet eine Freiwillige«, sagte Li. »Sie ist letzte Nacht gebracht worden.«
    »Eine Freiwillige?«, fragte das Mädchen. »Ist schon eine Weile her, seit wir die letzte hatten.«
    Li zog einen Portscreen aus der Brusttasche. »Sie ist jung, ein Teenager. Wir haben sie noch nicht diagnostiziert, aber ich glaube, sie hat eine ziemlich hohe Ersatzrate. Keine Hauttransplantationen.«
    Dr. Erland wurde wieder munter und kratzte sich die Schläfe mit einer Ecke seines Ports. »Ein Teenager? Ein Mädchen? Wie …« Er suchte nach den passenden Worten. Wie ungewöhnlich? Was für ein Zufall? Was für ein

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