Die Luna-Chroniken, Band 1: Wie Monde so silbern (German Edition)
umklammerte Cinders Handgelenk, dort, wo ihre Haut das Metall berührte. Cinder versuchte sich aus dem Klammergriff zu befreien, aber Sacha hielt sie fest. Um ihre gelblichen Fingernägel färbte sich die Haut blau.
Das vierte und letzte Stadium des Blauen Fiebers.
»Ich versuche es«, sagte Cinder. Sie zögerte, dann streichelte sie Sachas Fingerknöchel. Die blauen Finger öffneten sich und sanken auf die Decke zurück.
»Sunto«, murmelte Sacha. Ihr Blick war auf Cinders Gesicht geheftet, aber sie erkannte sie nicht mehr. »Sunto.«
Cinder machte einen Schritt rückwärts und die Worte verklangen. Aus Sachas schwarzen Augen wich das Leben.
Cinder krümmte sich und presste die Hände auf den Bauch. Sie sah sich um. Die anderen Patienten beachteten weder sie noch die Frau – die Leiche – neben ihr. Aber dann sah sie einen Androiden auf sie zurollen. Die Medidroiden mussten irgendwie mit den Patienten verbunden sein, dachte sie. Woher wussten sie sonst, wenn jemand gestorben war?
Wie lange würde es dauern, bis die Familie eine Tele erhielt? Wie lange würde es dauern, bis Sunto wusste, dass er keine Mutter mehr hatte?
Sie wollte sich abwenden und gehen, aber sie stand wie angewurzelt da, als der Androide neben sie rollte und Sachas schlaffe Hand zwischen seine Greifer nahm. Sachas Haut war aschfahl, abgesehen von den blutunterlaufenen Flecken am Kinn. Ihre Augen waren noch offen, zum Himmel gerichtet.
Vielleicht hätte der Medidroide Fragen an Cinder. Vielleicht wollte jemand die letzten Worte der Frau erfahren. Ihr Sohn sollte wissen, was sie gesagt hatte. Cinder sollte sie jemandem mitteilen.
Aber der Sensor des Medidroiden erfasste sie nicht.
Cinder befeuchtete ihre Lippen. Sie öffnete den Mund, aber sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
Im Medidroiden sprang ein Fach auf. Mit dem Greifer holte er ein Skalpell hervor. Angewidert aber gebannt sah Cinder zu, wie der Androide die Klinge in Sachas Handgelenk drückte. Blut floss auf Sachas Handfläche.
Cinder schüttelte ihre Benommenheit ab und stolperte vorwärts. Das Bettgestell drückte ihr gegen die Oberschenkel. »Was machst du da?«, fragte sie lauter als beabsichtigt.
Der Medidroide unterbrach seine Arbeit, das Skalpell steckte noch in Sachas Fleisch. Sein gelber Sensor leuchtete Cinder an, dann dimmte er ihn herunter. »Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte er mit programmierter Höflichkeit.
»Was machst du da?«, wiederholte sie. Sie hätte ihm am liebsten das Skalpell abgenommen, aber sie befürchtete, dass ein Missverständnis vorlag. Es musste einen logischen Grund für sein Tun geben. Medidroiden waren durch und durch logisch.
»Entfernung des ID-Chips«, sagte der Androide.
»Warum?«
Wieder leuchtete der Sensor auf, und der Androide wandte sich Sachas Handgelenk zu. »Sie hat keine Verwendung mehr für ihn.« Der Medidroide tauschte das Skalpell gegen eine Pinzette und Cinder hörte das leise Klicken von Metall auf Metall. Sie verzog das Gesicht, als der Androide den kleinen Chip herauszog. Die Schutzhülle aus Plastik glänzte blutrot.
»Aber … braucht man den nicht, um die Leiche zu identifizieren?«
Der Androide ließ den Chip auf ein Tablett fallen, das aus seinem Gehäuse ausfuhr – auf Dutzende anderer blutverschmierter Chips.
Er zog die zerlumpte Decke über Sachas starre Augen. Statt Cinders Fragen zu beantworten, sagte er nur: »Ich bin darauf programmiert, Anweisungen zu befolgen.«
18
Ein Medidroide rollte Cinder in den Weg, als sie das Lagerhaus verlassen wollte, und blockierte mit ausgestreckten Armen den Ausgang. »Patienten ist es strengstens untersagt, das Quarantänegebiet zu verlassen«, sagte er und schob Cinder zurück in den Schatten, den die Tür warf.
Cinder kämpfte gegen die aufsteigende Panik an und hielt den Roboter mit der Handfläche gegen seine glatte Stirn auf. »Ich bin keine Patientin«, sagte sie. »Ich bin auch nicht krank. Hier.« Sie hielt ihm die Ellenbeuge hin und zeigte ihm den blauen Fleck, wo sie in den letzten beiden Tagen mehrfach gestochen worden war.
Im Inneren des Androiden summte es, als er ihre Aussage verarbeitete und in seiner Datenbank nach einer logischen Reaktion suchte. Dann öffnete sich ein Fach in seinem Gehäuse und ein dritter Arm, der mit der Spritze, bewegte sich auf Cinder zu. Sie zuckte zurück, ihre Haut war empfindlich geworden. Trotzdem versuchte sie sich zu entspannen, als der Androide eine neue Blutprobe nahm. Die Spritze verschwand in seinem
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